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Kommen Sie mal runter. Mit diesen Worten laden Sigi und Claus Siegert kulturell interessierte Menschen ein, die feuerrote und mit einer Lichterkette geschmückte Wendeltreppe ihres in der Elvirastraße 17a gelegenen kleinen Theaters hinabzusteigen. Dort unten, im Keller, schlägt das Herz der Blauen Maus. Auf engstem Raum untergebracht sind Künstlergarderoben und eine respektable Bühne, rund 50 Stühle für die Zuschauer und eine kleine Bar, um die Stücke nach der Vorführung gemeinsam mit den Schauspielern entspannter reflektieren zu können. Zweimal im Jahr setzt das kleinste Theater Münchens Texte meist zeitgenössischer Autoren als Collagen in Szene. Noch bis zum 19. Dezember sind „Kleine Unglücksfälle“ von Ror Wolf zu sehen.

Dienstagmorgen, kurz vor 10 Uhr: Ich stehe auf dem kleinen Platz an der Kreuzung von Elvira- und Klarastraße, gleich vor dem Eingang des Theaters Blaue Maus, und warte darauf, Sigi und Claus Siegert persönlich kennen zu lernen, also jenes Paar, das das Theater am 7. Februar 1993 mit großem Engagement und sprudelnden Ideen eröffnet hat. Bei meiner Internetrecherche hatte ich vorab erfahren, dass der Name eine Reminiszenz an ein kleines Saarbrücker Schauspielhaus ist, das die beiden einst besonders schätzten. Schnell gegoogelt war auch die Information, dass Sigi Siegert, eine Schauspielerin mit vielfältigen Engagements, auch in Film und Fernsehen zu sehen ist. Zu Claus Siegert fand ich auf die Schnelle nichts, weil stets ein Architekt gleichen Namens vorn bei den Ergebnissen gelistet wurde …

Ein kleines Auto biegt um die Ecke, ich erkenne beide gleich: ihn an den weißen mittellangen Haaren und dem freundlichen Gesicht, sie an der markanten, schwarzen Kurzhaarfrisur und dem offenen Blick. Sie parken vorm Haus. Noch bevor wir uns begrüßen, hebt Claus Siegert eine herumfliegende, grüne Plastiktüte auf und versenkt sie im öffentlichen Papierkorb vor dem Haus. Begleitet werden die beiden, die in Schwabing wohnen, von Fanny, einem freundlichen braunen Hund, der mit seinem Leben zwischen Englischem Garten und Elvirastraße außerordentlich zufrieden zu sein scheint.

Im kleinen Entree des Theaters lasse ich mir das Theater Blaue Maus erklären.

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LocalLIFE: Sie bringen im Jahr zwei Eigenproduktionen auf die Bühne, die auf Texten von modernen Autoren basieren. Was und wen wählen Sie aus?
Claus Siegert: Im ersten Jahr sind wir mit Franz Xaver Kroetz gestartet, einem damals politischen Zeitgenossen, den wir interessant fanden. Später gab es dann Stoffe von Ernst Jandl, von Robert Gernhardt, von Daniil Charms, Kurt Schwitters, um nur ein paar Namen zu nennen. Aktuell greifen wir Ror Wolf auf. Seine Bücher und Hörspiele sind spielerische und abgründige Auseinandersetzungen mit der Realität. Etwas Kafka, etwas Beckett, eine Fundgrube für Liebhaber des Skurrilen.

LocalLIFE: Sie führen Collagen auf. Was heißt das genau?

Sigi Siegert: Es bedeutet, dass wir entlang eines Themas oder von ausgewählten Autorentexten spielbare Szenen entwickeln und zusammenfügen, die unseren Zuschauern Gedanken bildhaft vermitteln und ihnen einen schönen Abend bereiten. Wir nennen es auch literarische Revue, weil Musik und Gesang grundsätzlich dazugehören und die Choreographie sorgfältig einstudiert wird.

LocalLIFE: Wie viel Bildung sollte man mitbringen, um das genießen zu können?

Sigi Siegert: Wir sind nicht so verkopft und intellektuell, wie manche glauben. Jeder kann die Collagen verstehen, ohne ihre Vorlagen zu kennen. Aber natürlich gibt es auch ein schriftliches Programm, das die Hintergründe erklärt. Und wir freuen uns sehr, wenn Zuschauer nach der Aufführung bei einem Glas Wein erzählen, dass sie nun richtig Lust bekommen haben, mehr von Jandl zu lesen. Oder vielleicht sogar von Shakespeare, der in „Heiße Herzen. Kalte Herzen. Herzschmäh“ als einer von mehreren Schriftstellern der klassischen Literatur mit Liebesgeschichten vertreten war und so galant für seine Texte werben durfte.

LocalLIFE: Wie entwickeln Sie ein Stück bis zur Bühnenreife?

Claus Siegert: Stets mit einem professionell besetzten Team! Wir haben das Glück, dass sich immer wieder Schauspieler bei uns bewerben, die zeigen wollen, was sie können – singen oder tanzen beispielsweise. Sie genießen es auch, dass wir Rollen Schritt für Schritt vom Text bis zum Bühnenstück gemeinsam erarbeiten. Wir sind stolz darauf, dass wir jeden am Theater Beteiligten zwar nicht großzügig, aber doch solide entlohnen können – von der Bühnenbildnerin bis hin zum Tontechniker.

LocalLIFE: Wie finanziert sich ein so kleines Theater?

Claus Siegert: Von unseren Zuschauern allein können wir nicht leben. Die Eintrittspreise sind moderat, mehr als 50 Personen passen nicht in den Raum und außerdem haben wir nicht täglich Aufführungen. Es gibt ja keine gesonderten Probenräume, also müssen wir hier proben. Nun kommt das Kulturreferat der Stadt München ins Spiel, das uns erfreulicherweise fördert. Dafür müssen wir den Antrag regelmäßig neu stellen, vieles offenlegen und eine längerfristige Planung abgeben. Aber all das finden wir richtig. Wir haben zwar noch mehr Arbeit, aber wir wissen dann auch, wo wir stehen.

LocalLIFE: Sie betreiben dieses kleine Theater nun schon seit 22 Jahren. Wie fordernd ist das? Füllt es Ihr ganzes Leben aus?

Sigi Siegert (lacht): Natürlich stecken wir unglaublich viel Zeit, Arbeit und auch Liebe in die Blaue Maus. Wir sind ja von der ersten Idee bis zur letzten Aufführung immer dabei, meistens auch zu zweit. Ich arbeite trotzdem auch noch an der Uni, dort habe ich sozusagen eine zweite Welt. Und Claus hat neben seinen Tätigkeiten vom Regisseur bis zum Kartenabreißer ebenfalls noch einen Beruf: Er ist Architekt.

 

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Kleine Unglücksfälle
von Ror Wolf auf dem Spielplan bis zum 19. Dezember!

Und darum geht es: Hans Waldmann, alter Ego des Autors Ror Wolf und zugleich großer Abenteurer und Lebemann, lädt Freund und Feind zum Abendessen in ein
heruntergekommenes Grand-Hotel – und keiner wagt zu fehlen! Es treffen
unterschiedliche Gestalten mit ihren kleinen und großen Geschichten aufeinander.
Sie schwelgen in der Vergangenheit, schlagen sich gemeinsam den Bauch voll und
die Zeit tot und sind begierig auf das Leben, das draußen ohne sie vorbeizieht.
www.theaterblauemaus.de