Das unauffällig in der Schulstraße versteckte Broeding ist eines der stets auf Neue überraschenden und begeisternden Spitzenlokale in München. Aber Achtung: Mit Ihrem Besuch gehen Sie ein Risiko ein. Lesen Sie nur weiter, wenn Sie bereit sind, das EINE Menü für 69 Euro zu bestellen. Im Broeding gibt es nämlich nichts anderes – zum immer gleichen Festpreis, nur abends. Das ist schon alles … aber wahrscheinlich doch viel mehr, als Sie erwarten.


Die Idee, Menschen nur entscheiden zu lassen, ob sie sechs oder unter Verzicht auf den Käsegang fünf Gänge eines einzigen Tagesmenüs essen wollen, ist ein wenig versnobt, aber auch mutig. Entweder ein Kunde lässt sich auf diese – sagen wir Küchendiktatur? – ein. Oder eben nicht. Muss das überschaubare Angebot nicht Menschen fernhalten, die das Risiko scheuen, Kalbsbries oder Blutwurst serviert zu bekommen, Kraut oder Chicorée? JA. Und auch NEIN: Wenn im Broeding der Gast begrüßt und nach den Getränkewünschen befragt wird, hat jeder die Freiheit, Zutaten abzuwählen und eine individuelle Variante des Menüs zu ordern. Ob er davon Gebrauch macht? Seltener, als man denkt! Wer beispielsweise Hirn verschmäht, wird eingeladen, vorab ein Löffelchen zu kosten. Etwa 90 Prozent der Tester wagen anschließend den Sprung ins kulinarische Abenteuer – so wie es die Herrscher in der Küche vorgesehen haben.

Auf die Frage nach den Gründen für das ungewöhnliche Restaurantkonzept nennt Manuel Re-heis, einer der beiden Inhaber des Broeding und Küchenchef, einen selten zu hörenden Grund: nicht so viel wegzuwerfen. Alles, was täglich morgens eingekauft werde, komme gleich abends auf den Tisch und werde umgehend verspeist. Wir verstehen: Da die Zahl der Gäste bekannt ist, muss kein einziges Salatblatt im Kühlschrank welkend auf die anziehende Nachfrage warten. Im Grunde genommen ist die Idee des EINEN Menüs sogar von bewährten hausfraulichen Tugenden inspiriert: Improvisation und Sparsamkeit. Der Gast profitiert davon zweifach. Freiraum im Kühlschrank bedeutet Platz für neue, frische Zutaten. Spielraum im Geldbeutel erlaubt es, exklusive Produkte einzukaufen.

Zum Beispiel „Buddhas Hand“: Das ist eine Zitrone, die Manuel Reheis bei einer Chinareise kennengelernt hat und als erster Koch Deutschlands in seiner Küche einsetzte. Ein Exemplar der vielfingrigen Frucht, die wie Zitrone ohne Säure schmeckt, kostet derzeit etwa 45 Euro, da es nur auf Bestellung über den Exotenhändler eingeflogen wird. Eine einzige Hand reicht allerdings für etwa 100 Gerichte, un-abhängig davon, ob mit ihr Rote Rüben gefüllt oder Schäumchen fürs Dessert geschlagen werden. Pro Portion liegen die Kosten damit bei 45 Cent. Bleibt genug Geld übrig für weitere Küchensensationen.

Obwohl das Broeding die besten Aromen dieser Welt auf seine Teller bringt, wäre es irreführend, das Essen anhand von Exoten zu beschreiben. Auch die erwähnten Innereien sind nicht unbedingt typisch für die Karte – auch wenn der mit Münchner Gerichten aufgewachsene Koch sie keineswegs tabuisiert. Manuel Reheis ist ein Fan regionaler Produkte. Wurzelgemüse vom Bauern in der Nachbarschaft, Kräuter aus dem Familiengärtchen. Bio, Slowfood, das ist der Weg. Tomaten, die die Sonne sahen. Rinder, die auf Weiden grasten. Auch seltene Arten wie zuckersüße Erdbeeren, die den auf Robustheit angelegten Bio-Anbau nie überleben würden, kommen auf den Tisch. Das Ziel allen Kochens ist der perfekte Geschmack. Es macht eben doch noch einen Unterschied, ob das feine Filet in Vakuum verpackt nachreifen musste oder luftig abhängen durfte. Und genau darum schmeckt das bayerische Fleckvieh zuweilen besser als das argentinische Steppenrind. Manuel Reheis weiß, dass die Steigerung von zart nicht zarter heißt, sondern zart mit Biss.

Seit über 20 Jahren steht es im Broeding täglich auf des Messers Schneide: Werden sich die Gäste vom Essen verführen lassen und das Regiment der Köche anerkennen? Oder werden sie den Aufstand proben? Das Team hat nur eine Chance, alle Anwesenden zu überzeugen – und nutzt diese mit Hingabe, Spaß an der Arbeit und großem Selbstbewusstsein. Um 17 Uhr muss das Menü stehen. Es kommt allerdings vor, dass die Köche die Speisenfolge erneut umstellen und Gerichte ändern, wenn der Service die Karte längst geschrieben und für alle Tische vervielfältigt hat. Was dann letztendlich serviert wird, heißt „marinierte Thunfischscheiben in Sesamkruste mit Karotten-Ingwer-Salat“, „lauwarmer Kabeljau mit Pak-Choi und Datteltomate“, „Fougerous mit Rosmaringelée“ oder „Oktopus-Fenchel-Gröstl mit Pesto und Salat“.

Alles schmeckt wunderbar. Das Amuse Gueule, der überraschende Zwischengang, das schokoladige Vordessert: Die Komposition stimmt, die Konsistenz, die Gaumenfreude. Jedes Gericht ist sterneverdächtig! Wer allerdings Küchen-Sterne vom Himmel holen will, muss einen hohen Preis zahlen. Man begibt sich in Abhängigkeit von Testessern und Servicestressern. Um ein Rezept zu perfek-tionieren, muss es wochenlang auf der Speisekarte stehen. Restaurants, die nach den Sternen greifen, können sich keine Tageskarte leisten. Auf die Frage nach seinen Ambitionen rund um Gault Millau & Co. gesteht uns Manuel Reheis, dass es ihm entschieden zu öde wäre, um diese Form der Anerkennung zu kämpfen: „Wir brauchen Spannung und Abwechslung beim Kochen. Einmal im Jahr veranstalten wir eine Trüffel-Woche. Das ist für uns eine echte Zerreißprobe. Sieben Tage lang das Gleiche zu kochen ist hart, 30 Tage das Gleiche zu kochen, kann ich mir gar nicht vorstellen. Schon eine Spargelwoche wäre uns viel zu langweilig!“
Gottfried Wallisch
und Manuel Reheis

Lieber stellt man seine Gäste auf die Probe: Manuel Reheis freut sich unverhohlen, als er davon erzählt, wie er Kunden mit einem Münchner Voressen – Kutteln, Bries, Herz und Lunge – oder auch schon mal mit enormer Schärfe an ihre Grenzen gebracht hat. Heute sei man ein wenig reifer geworden, ergänzt er lachend, und fange die Gäste nach einem ausgefallenen gleich wieder mit einem harmonischen Gang auf. Er hält kurz inne und merkt an, dass ER die Pomelo mit Salz und Chili immer noch vorzüglich finde, auch wenn diesen vietnamesischen Zwischengang ausnahmslos alle Gäste abgelehnt hätten. In diesem Moment blitzt der junge Wilde auf, der dem Essen im Broeding Charakter verleiht. Seinen Charakter – als experimentierfreudiger, bodenständiger, verantwortungsbewusster, virtuoser und trotzdem nur in Spuren versnobter Herrscher im Küchenreich.