In einer Stadt wie München ist das mit der Natur so eine Sache: Es gibt wirklich reichlich davon, was auf Kosten der Parkplätze geht. Meistens ist sie draußen, während man selbst drinnen hockt und ab und zu guckt, was sie so treibt. Nun habe ich ja nicht einmal einen Balkon, auf dem ich die Abfolge der Jahreszeiten hautnah miterleben könnte, von der andere so schwärmen, während sie Pesto aus selbstgezogenem Grünzeug anbieten.

Deshalb stehe ich seit nunmehr drei Jahren auf der Warteliste für ein Parzellen-Paradies am Westfriedhof. Mein persönliches urbanes Arkadien – das ist der „liebliche Ort“ in der Literatur, wo Hirten hinter Herden und Nymphen hinter Pan herjagen, wenn nicht gerade alle erschöpft in der Hitze des Mittags unter Olivenbäumen ruhen.

Mir ist schon klar, dass es in einem Schrebergarten nicht unbedingt ganz so abläuft. Aber eine gewisse Ahnung harmonischer Welten weht schon von den Solarzellen auf den Dächern der Gartenschuppen und von den Holzkohlegrills herüber. Wie ihr Jagdinstinkt die Jäger der Urzeit heutzutage auf die Autobahnen treibt, zieht uns, die einstigen Ackerbauern, die Sehnsucht nach der Scholle auf jene säuberlich abgemessene hinter den Hecken. Dort bekennen wir Flagge, wortwörtlich, lassen nicht nur Seele, sondern auch Bauch über der kurzen Hose baumeln, während wir säen und jäten, entlausen und ernten, dass die Gemüseschwarte kracht. Das ist Natur pur!

Im Grunde ist das Ganze eine große Beschäftigungstherapie, die einen von der Straße holt (wo die urzeitlichen Jäger in ihren Autos auf einen warten). Anders als in den eigenen Garten daheim kommt niemand nur zum Sonnenbaden in die Kleingarten-Anlagen – dafür sorgen schon die Kleingarten-Auflagen: Vor der Ruhe steht die Runde mit dem Rasenmäher, vor dem Grillen der Gang mit der Gießkanne. So arglos, friedlich und beschaulich (fast möchte man sagen: tröge?) das Ganze auch wirken mag, ist dieses Arkadien, anders als in der Literatur, jedoch nicht frei von gesellschaftlichen Zwängen und sozialen Fallstricken.

Zwischen Pflanzen und Pausieren spähen wir nach unseren Nachbarn, ob die sich auch an die Prozentvorgaben bei der Unterteilung von Baum, Beet und Blume halten oder gar unser multifunktionales, ergonomisches Gartengerät ungefragt ausgeliehen haben. Immer mehr junge Leute, die meisten mit Familie, entdecken aktuell diesen sehr speziellen Reiz für sich; beinahe die Hälfte der Kleingärten haben sie sich bislang schon unter die dreckverkrusteten Nägel gerissen. Hier bauen sie die Zutaten für ihre Smoothies in Bio-Qualität an und üben en miniature für eine bessere Welt. Willst du den Planeten verändern, dann fange beim Garten an – so oder ähnlich hat sich mit Sicherheit irgendein fernöstlicher Weiser schon einmal geäußert.

Zurück zur Natur! Ich will nicht länger auf die botanischen Notbehelfe aus Supermarkt und Bioladen zurückgreifen müssen, sondern echte, pralle, zarte Frische; will in süße Karotten beißen, von denen ich die Erde abgestreift habe, die später zwischen den Zähnen knirscht, und Erdbeeren essen, die noch warm von der Sonne sind. Will mich von Muskelkater und domestiziertem Wildwuchs dazu inspirieren lassen, mit dem Laptop unter der Solarzelle statt im Homeoffice sitzend Loblieder auf mein Gemüse zu schreiben, wie Ringelnatz einst auf die Kartoffel, Wilhelm Busch auf die Bohne (daher sicher der Name „Buschbohne“) und Goethe, der alte Poser, auf die Artischocke.
Bis es soweit ist, halte ich bei Umtrunken und Tomaten-Verkostungen Kontakt zu meinen Nachbarn in spe. Schrebergärtner sind ja im Grunde eine überwiegend freundliche Gemeinschaft – solange man keine bessere Ernte als sie selbst einfährt. Sie geben auch gerne Rat – solange man nicht beim Nachbarn nach der anderen Seite hin ebenfalls um Rat anfragt, weil man ihn für kompetenter hält. Sie kennen sich und haben ein Auge auf sich, helfen untereinander und lästern übereinander: „Der hat doch sicher nur deshalb so schöne Rosen, weil er seine Schwiegermutter darunter verbuddelt hat.“

Sie sind das, was heutzutage einer ländlichen Dorfgemeinschaft am nächsten kommt, und erleben eine archaische Befriedigung am Mitgestalten des schöpferischen Akts der Natur – mit Kunstdünger, vorgezogenen Sprösslingen und magischen Gartenbeschwörungsformeln. Denn die eigene Kartoffel ist nur dann größer, wenn die des Nachbarn kleiner ist. Ach, Arkadien! Da freu ich mich schon drauf!

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