lol_lesebühne_Gelbe-Punkte

Anselm dreht Kippen, Anselm hat dunkle Ränder unter den Fingernägeln. Anselm murmelt, gelbe Punkte in seinen Augen und überall Grün. Anselm schaut, schaut mich an, zu viel, sagt er, es ist zu viel. Irgendwo hinter ihm an der Wand der Buddha, mit geschlossenen Augen. War einfach da, abends nach der Arbeit, friedlich, eigentlich. Rotes Acryl auf weißem Putz, hin-gemalt, borstige Pinselstriche, sie malt wie ein Kind, sagt Anselm, Emmi malt wie ein Kind. Malt auf Anselms Wände, wenn er nicht da ist. Wie Blut, sagt er und schiebt den Bauernschrank davor, er kann kein Blut sehen. Nicht hier, nicht in seiner Wohnung, an seiner Wand, dabei meint sie es doch gut, sagt er.

Dann sagt er nichts mehr, Anselm liebt Stille.

Emmi, seine erste Begegnung mit ihr im Treppenhaus, ihre zarten Finger in seiner Hand, ihr schüchternes Lachen, dann das erste Klopfen, sanft, abends an seiner Tür. Emmis Hausschuhe aus weißem Plüsch, Emmi setzt sich aufs Sofa und raucht, Emmis leise Stimme, gebrochen. Irgendwann lauter, Emmi lacht, befreiend, Anselm geht das Herz auf. Dann sein Urlaub, der Wohnungsschlüssel, Emmi gießt die Blumen. Anselm kommt zurück, dankbar, schenkt ihr was zum Rauchen. Sieht das Bäumchen in der Ecke. Ein Zitronenbaum, er steht da, plötzlich. Jetzt jeden Abend, das Klopfzeichen, dreimal, manchmal sitzt sie auch schon da. Auf seinem Sofa, raucht, sie nennt ihn jetzt Amsel. Schreibt kleine Briefe, Mädchenschrift auf Karopapier, lieber Amsel, der Zitronenbaum, er ist mein Le-bensbaum. Er soll bleiben, weil sie weiß, dass Anselm mit Pflanzen spricht, seine weiche Stimme, seine Aura, alles ist gut. Und der Baum wächst, wächst tatsächlich, still und schnell, Anselm kann sehen, wie die Blätter größer werden. Wie sich die gelben Punkte vermehren, bald überall Zitronen, Blätter, immer mehr, abends hören sie seine weiche Stimme.

Anselm dreht Kippen und Emmi schaut auf Zitronen. Sieht Sternbilder in den Punkten, sieht ihr Leben aufblühen. Anselm kauft Säcke Blumenerde, alle vier Wochen, immer umtopfen, immer sprechen. Mit gelben Punkten in den Augen, dunkle Ränder unter den Nägeln, vom Tabak, von Erde, und Anselm streicht sich über die Schläfe. Duckt sich, weil die Blätter ihn kitzeln, abends, wenn er in seinem Lieblingssessel sitzt. Er war-tet, wartet, bis Emmis Stimme verstummt, bis Emmi genug Sternbilder, genug positive Energie aus dem Baum gezogen hat. Atmet irgendwann auf, wenn die Tür zufällt, endlich. Er schmeißt Emmi nur ein einziges Mal aus der Wohnung, Emmi weint, Emmi schreit und dann fällt die Tür zu, Anselm schläft schlecht. Fällt beinahe sechs Meter tief, am nächsten Tag auf der Baustelle, unkonzentriert, müde, Emmi, der Baum, die Punkte, alles wird zu viel. Anselm schüttet Wasser auf Erde, zieht den Kopf ein, Äste schlingen sich um die Lampe. Anselm isst Butterbrot, kommt nur noch schwer in die Küche. Emmi abends auf dem Sofa, mit geschlossenen Augen zwischen Ästen, wie der Buddha, der Buddha aus Blut. Dann sein Sessel, irgendwann einfach weg, Emmi hat ihn auf den Sperrmüll ge-stellt. Amsel, sagt Emmi, wir brauchen Platz. Anselm steht neben dem Baum und dreht Kippen. Erzählt dem Baum seinen Traum von letzter Nacht; wie er nicht mehr in die Wohnung kommt, überall Zweige, Äste, Blätter, ein Nest voller gelber Spinnen und irgendwo eine Amsel auf den Ästen, sie lacht, lacht viel zu laut, zu schrill. Es ist Emmis Lachen.

Am  nächsten Morgen reißt er drei Zitronen ab, schmeißt sie aus dem Fenster wie Tennisbälle, zu viele, sagt Anselm, alles zu viel. Klopft mit der flachen Hand gegen seine Schläfe, durch sein Fenster kommt kein Licht mehr.

Anselm schläft auf Blumenerde.

Anselm legt den Kopf in die Hände.

 

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Ina Spang