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Weil es über 40 Sorten sorgfältig ausgewählter Whiskys dort gibt, dazu ein Ehepaar als Gastgeber, das sich bestens mit edlen Bränden auskennt, hatten wir beschlossen, unser Trinkheft mit einem Beitrag über das goldfarbene Lebenswasser im kleinen Tages- und Nachtcafé „Muffins ‚n’ More“ abzurunden. Das versuchen wir natürlich nach wie vor, aber noch spannender als die zahlreichen Varianten der ursprünglich aus Schottland stammenden Spirituose fanden wir die Ausstattung des Lokals, die Ansichten und Lebensgeschichten Jay Jays – und Marinas selbst gebackene Cheesecake-Delikatessen. Besonders gut gefiel uns eine Torte namens Seniors Whisky auf Basis des „10 Years Old Laphroig“.

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Der rauchige Geschmack eines gut gereiften Getreidebrands braucht das rauchige Ambiente einer guten Bar. Erfreulicherweise hat sich das im „Muffins ‚n’ More“ bis heute gut gehalten, obwohl der Genuss von Zigaretten, Zigarren und Pfeifen mittlerweile längst verboten ist. Tabakwolken würden dort in der Volkartstraße noch wunderbar passen, aber das entspricht nun mal nicht mehr den Gesetzen. Immerhin erinnern noch zahlreiche Einrichtungsgegenstände an verrauchtere und verruchtere Zeiten, an Reflexion und Engagement, an Freiheitssehnsucht und Rebellion. Tageszeitungen aus Papier, echte Bücher, Kunstdrucke an der Wand. Dazu ein – noch funktionierender – Haartrockner aus dem ehemaligen Friseursalon gegenüber, zehn abgewetzte Barhocker auf wenigen Quadratmetern, Gläser mit Speckgummi-Delphinen, Godzilla aus Plüsch, eine Geige und Klarinetten an der Decke, friedlich über der neongelben Theke schwebend. Keine Frage, hier hätte Janis Joplin sicher gern ihren Southern Comfort getrunken. Aber das Café wurde erst 2001 eröffnet, als die Musikerin schon längst das Zeitliche gesegnet hatte. Nein, ein Konzept für die Einrichtung hätten sie nicht, sagt Marina Eichmann, die von Jay Jay häufig „die Chefin“ genannt wird, aber diese sonderbare Frage werde ihnen häufiger gestellt. Sie hätten einfach Dinge gesammelt, die Geschichten erzählen: zum Beispiel ein Bild von Ted Kinney aus dem Jahr 1976, auf dem ein Maoist der Genossin an die nackten Brüste fasst. Damals stand das für Aufbruch und die weltweit anklopfende sexuelle Revolution. Heute kommen junge Gäste vorbei, rümpfen die Nase und beschweren sich über den Sexismus an der Wand. „Immerhin mokieren sich auf der anderen Seite auch Gäste darüber, dass ich inzwischen so harmlos geworden bin“, erzählt Jay Jay amüsiert, der, wie wir dann erfahren, erst den Vornamen Uwe und später den Namen Jutta trug. Eigentlich ist der in Berlin geborene und im Ruhrgebiet als Mann groß gewordene Mensch mit Bart nämlich eine Frau. Er kennt sich ganz gut aus mit einem Leben zwischen den Geschlechterwelten und kann heute vielleicht sogar deshalb viele Themen mit Klugheit, Gelassenheit und Humor anpacken. Die paar provozierenden Fotos im Toilettenraum, die Menschen nackt und in verwirrenden Geschlechtergrenzen zeigen? „Wen das aufregt, der darf gerne gehen“, sagt Jay Jay leise und weise zugleich. Er weiß, was wirklich wichtig ist, hat selbst dem Tabak und dem Whisky zugesprochen. Der Lungenkrebs wurde operiert, die Bauchspeicheldrüse verträgt keinen Alkohol mehr. Aber das einzige Schwulencafé in Neuhausen wird man ja doch noch betreiben dürfen!

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Natürlich ist „die etwas andere Conditorei“ für alle Besucher offen, oft bis in die frühen Morgenstunden hinein. Es kommt ein ganz normales und in aller Regel auch gehobenes Publikum. Jay Jay und Marina kennen die meisten Kunden persönlich und seit vielen Jahren. Durch das Rauchverbot sind es weniger geworden und die Jugend schlüpft nicht in die alten Schuhe hinein. „Leider gibt es immer mehr junge Rüpel, die das Café betreten und nicht einmal ‚hallo’ sagen“, echauffiert sich Jay Jay und – als wäre noch ein Beleg dafür nötig – kommt ein gepflegter, junger Kerl vorbei, der grußlos einen Teebeutel aus den Vorräten nimmt, weil er glaubt, sich damit nützlich zu machen. Aus ihm wird sicher nie ein stilvoller Whisky-Trinker, der sich an Schildern im Raum, wie „Wer ständig säuft, führt auch ein geregeltes Leben“ entspannt erfreut. Weltoffenheit sei die Sache der im Wohlstand groß gewordenen jungen Menschen nicht, sinniert der Wirt, die meisten seien einfach Spießer mit Rollkoffer. Aber er gibt nicht auf und lässt es sich nicht nehmen, allzu stromlinienförmige Schlaumeier auch schon mal zu provozieren. Wenn sich junge Eltern beispielsweise darüber aufregen, dass die mit Netzstrümpfen bekleidete Schaufensterpuppe nur eineinhalb Beine hat, dann holt er ein Foto hervor, auf dem drei schwarze Mädels mit einem amputierten Unterschenkel je als „Miss Landmine“ ausgezeichnet wurden. „Das echte Leben ist viel schlimmer als das, was hier zu sehen ist“, kommentiert Jay Jay nur, „aber das will nicht jeder hören“. In München sei die Ignoranz besonders verbreitet, stellt er fest: „Hier tragen sogar die Penner die Nase oben.“

Wir haben immer noch keinen Whisky getrunken, sind aber ganz high von diesem besonderen Ort. Mögen sich unsere Leser nun selbst auf ein Trink-Abenteuer einlassen und sich zugleich auf die von Conditormeisterin Marina, einer Deutsch-Kanadierin, gebackenen Kuchen stürzen. Allein über 20 Sorten nach Originalrezepten der Familie hergestellte Cheesecakes hat sie neben den Muffins im Sortiment. Täglich backt sie neue Torten, die bis in die tiefen Nachtstunden hinein begeisterte Abnehmer finden. Höchstwahrscheinlich schmecken die in allen Pastellfarben nuancierten Stückchen sogar auch dann noch verführerisch gut, wenn man sie nur mit Tee oder Kaffee oder gar Wasser verkostet.