Eigentlich freuen wir uns auf ihn, sagten wir Bürgerinnen und Bürger Neuhausens uns noch vor ein paar Jahren, als wir davon erfuhren, dass der Tunnel unter der Landshuter Allee verlängert werden soll: Hurra, das in den 70-er Jahren anlässlich der Olympiade vom Mittleren Ring deutlich geteilte Neuhausen wächst oberirdisch endlich wieder zusammen! Der Autoverkehr verschwindet unter der Erde! Die Luft wird besser, mehr Ruhe kehrt ein, wir werden in schönen Parks flanieren! Wenn es wirklich so käme, sagten uns, wäre uns das dreistellige Millionenbeträge und jahrelange Bauarbeiten wert.
Dass die Landshuter Allee die am stärksten schadstoffbelastete Straße Deutschlands ist, müssen wir Anwohnern nicht lang erzählen. Die ZEIT formulierte es am 20. Februar 2018 so: „Der Dreck ist gut zu sehen. Auf den weißen Fensterrahmen liegt er als dünne, graue Schicht.“ Wir Neuhauser kennen das, auch wenn wir einige Straßen weiter entfernt wohnen. Bei Westwind – und der weht in 80 Prozent aller Wetterlagen – werden Schmutz und Schadstoffe zur Innenstadt geblasen, bei Ostwind dann in die Gegenrichtung. „Die Landshuter Allee ist nicht nur der dreckigste Straßenabschnitt Münchens, sondern des gesamten Bundesgebiets“ schreibt die ZEIT weiter. „Das haben aktuelle Schadstoffmessungen ergeben. Selbst europaweit belegen die hier gemessenen Stickstoffdioxidwerte Spitzenplätze. Woher die Schadstoffe kommen, ist klar, sagt der Luftreinhalteplan der Stadt: ‚Maßgeblich von Kraftfahrzeugen, insbesondere von Diesel-Kfz‘, heißt es, Letztere werden dort ‚Hauptverursacher‘ genannt.“
Okay sagen wir uns, dann klären wir endlich das leidige Dieselthema – und alles ist wieder im grünen Bereich. Leider nein. Benziner sind auch keine Alternative. Feinstaub und Emissionen, Lärm und Dreck durch ein ständig wachsendes Verkehrsaufkommen werden uns auf absehbare Zeit weiterhin belästigen. Denn weder der massenhafte Umstieg auf Elektromobilität noch ein geändertes Mobilitätsverhalten – mehr Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs, mehr Radlfahren, mehr Carsharing – sind in Sicht. Die Zahl der kraftstofffressenden SUVs steigt ebenso an wie der Trend, sich noch die kleinste Schraube direkt bis vor die Haustür bringen zu lassen.
Packen wir’s unter die Erde: Tunnelbau als naheliegende Lösung für Anwohner
Die Idee, den lästigen Verkehr auf der Nord-Süd-Achse unter die Erde zu bringen, wurde zwischen 1976 bis 1979 zum ersten Mal umgesetzt. Warum? Weil etliche Jahre zuvor die schöne Wohnstraße Landshuter Allee – noch ein wenig breiter als der Kurfürstendamm – mit Blick auf die Olympischen Sommerspiele 1972 an die Donnersbergerbrücke angeschlossen und in eine schnelle Zubringerstraße zum Olympiagelände verwandelt worden war. Die Autofahrer fanden das ziemlich prima, und der Mittlere Ring zog, wenig überraschend, zusätzlichen Verkehr an. Die Anwohner dagegen waren sauer, gründeten eine Bürgerinitiative und stießen schließlich den Bau des heute noch vorhandenen Kurztunnels mit 365 Metern Länge an. Für ein paar Jahre brachte dieser Erleichterung. Heute allerdings sind die Belastungen für Anwohner schlimmer als je zuvor.
Die Planungen für den vollständigen Neubau des Tunnels auf 1,4 Kilometer Länge zwischen Donnersbergerbrücke und Dachauer Brücke begannen am 8. Juni 2011 mit dem Auftrag des Stadtrats, eine Machbarkeitsstudie zu erstellen. Wieder hatte sich eine Anwohnerinitiative für das Projekt stark gemacht: „Pro Landshuter Allee Tunnel“. Deren Mitglieder kämpfen seit zehn Jahren und mit besten Gründen für die Verminderung von Lärm und Schadstoffbelastungen vor der eigenen Haustüre. Ihr Thema finden sie vor allem in der bürgernahen Gestaltung der Oberflächen. So weit, so gut. Aber ein Blick in die aktuellen Planungsunterlagen sowie Recherchen weiterer Anwohner zeigen, dass das zu kurz greift, um die wichtigsten Mängel nachhaltig zu beseitigen.
Abgase über die Häuser blasen? Oder Filter als Alternative?
Ein kleine Gruppe aufmerksamer Bürger hat sich die Frage gestellt, was eigentlich mit den Abgasen der im Tunnel verkehrenden Autos geschieht. Sie legten offen, dass die Abgase des Tunnels ungefiltert hoch in die Luft geblasen werden sollen. Klar, wenn sie sich so übers Viertel verteilen, wird der kritische Grenzwert von 40 µg/m3 nicht mehr gerissen. Das konnten die Neuhauser Bürger und ihre Mitstreiter kaum glauben. Sie informierten „Ihre“ Politiker auf kommunaler und auf Landesebene. Über alle Parteien hinweg: Keiner hatte das gewusst, keiner hatte sich mit dem Thema auseinander gesetzt. Die kritischen Bürger nahmen die Suche nach einem Ausweg in die eigene Hand. Sie fanden heraus, dass es in Europa erst wenige Filtrierungsanlagen gibt, obwohl die Technik dafür reif ist und Firmen in Deutschland wie Österreich entsprechende Ansätze anbieten. Sie setzten zwei Petitionen für den Einsatz moderner und effizienter Filtersysteme an den Stadtrat und den Landtag auf, sammelten dafür 800 bzw. 1.200 Unterschriften und reichten diese ein. Schließlich lieferten sie selbst die Adressen jener Unternehmen, die Filteranlagen bauen, an die Verantwortlichen weiter.
Jetzt sind die Politiker dran. Auch in der Verwaltung dürfte der eine oder andere Mitarbeiter ob dieses Vorstoßes aufatmen. Ein Protokoll des Baureferats zur öffentlichen Sitzung am 3.7.2018 sagt – zum Abschnitt Süd des Tunnels – beispielsweise ausdrücklich dies: „Nach Aussagen des Gutachters für Luftschadstoffe lassen sich ohne weitere Optimierungen die gesetzlichen Grenzwerte (NO2) an den westseitigen und teilweise ostseitigen Gebäudefassaden nicht einhalten, selbst wenn ein Abluftkamin errichtet wird.“ Man darf hoffen, dass die Aufgabe verstanden und angenommen wird. Spannend bleibt die Frage, ob das artikulierte Interesse der Politiker der Landtagswahl geschuldet war – oder immer noch brennt.
Welche Problem der Tunnel löst – und welche eher nicht
Auf einer Bürgerversammlung am 9. Oktober 2018 stellte das Baureferat dem interessierten Publikum die Vorplanung für den Tunnel vor. Sie warf neue Fragen auf.
Thema Lärmschutz
Fangen wir mit den guten Nachrichten an. Bessern dürfte sich die Lärmbelastung überall dort, wo der Verkehr unterirdisch geführt wird und die Oberfläche eindeutig entlastet bleibt. Das Dumme ist nur, dass es Zufahrten und Abfahrten an mehreren Stellen geben wird, dazu das Nord- oder Südportal mit wahrscheinlich noch größerem Lärm als zuvor. Ein weiteres Zitat aus dem bereits zitierten Dokument des Baureferats: „Die Lage und erforderliche Dimensionierung des südlichen Tunnelportals, die zudem dort anzuordnenden Zu- und Abfahrtsrampen zur Anbindung der Arnulfstraße an den Tunnel sowie die notwendigen Fahrspuren an der Oberfläche würden gegenüber dem heutigen Zustand in diesem Bereich insbesondere für die Anwohner aber auch städtebaulich sowie für den Fuß- und Radverkehr eine Verschlechterung darstellen. Es besteht daher Optimierungsbedarf im Zuge der weiteren Vorplanung. Zusätzliche Untersuchungen sind notwendig.“ Klingt irgendwie nach mehr Verkehr im engen Raum – über der Erde.
Thema Verkehrsaufkommen
Die Machbarkeitsstudie zum Tunnelbau war von Verkehrsprognosen ausgegangen, die das Baureferat später wieder korrigieren musste. Konkrete Zahlen sehen jetzt beispielsweise so aus: Ab dem Tunnelportal Richtung Süden wird der Verkehr von heute 132.000 auf circa 168.00 Kraftfahrzeuge täglich anwachsen. Entsprechend wurde die Planung mittlerweile von zwei auf drei Spuren im Tunnel umgestellt. Das klingt vernünftig, wirft aber neue Fragen auf, da die beiden Brücken am Südportal: Donnerbergerbrücke und am Nordportal: Dachauer Brücke marode sind, aufwändig saniert werden müssen und im übrigen selbst nur zweispurig sind. Damit ist dort Rückstau zu erwarten. Im Süden denkt man darüber nach, eventuell die Sanierung der Brücke mit dem Tunnelbau zu kombinieren, was die Planung nicht nur in zeitlicher und finanzieller Hinsicht wieder verändern würde. Wie lange der schließlich beschlossene Tunnel dann bei dem weiterhin enormen Verkehrswachstum richtig dimensioniert bleiben würde, kann niemand sagen.
Wir denken bei diesem Thema an die Staus im Petueltunnel. Dort beobachten wir bereits seit längerem, dass uns einige Navigationssysteme, um uns zu beschleunigen, wieder oben über die Straßen lotsen. Ähnliches kann auch in der Landshuter Allee schneller als erwartet geschehen, zum Beispiel bei einer geplanten oder außerplanmäßigen Tunnelsperrung, für die es kein Störfallkonzept gibt. In der genannten Bauausschusssitzung wurde festgestellt, dass keine angemessene Ausweichroute zur Verfügung steht und der Verkehr deshalb bei Sperrungen über die Oberfläche zu führen ist. Das wiederum verhindert eine schöne Idee der Machbarkeitsstudie: den durchgängigen motorisierten Individualverkehr an der Kreuzung Landshuter Allee / Nymphenburgerstraße zu unterbinden. Last but not least: Es stimmt auch nicht hoffnungsvoll zu wissen, dass das mit 7.729 Bewohnern pro Quadratmetern sehr dicht bebaute Neuhausen weiterhin verdichtet wird. Aktuell ist von einem neuen kleinen Stadtteil an der Friedenheimer Brücke die Rede. Wie das dann wohl angefahren wird?
Thema Oberflächengestaltung und Umweltschutz
Über dem Trappentreutunnel entfaltet sich das ruhige Leben der Anwohner. Über dem Petuelring konnte der Park erweitert werden. Das weckt Interesse und gefällt. Über einem neuen Tunnel Landshuter Allee allerdings wird nichts dergleichen zu realisieren sein. In der Mitte der Straße soll es ein Grünstreifenband geben. Wer sich dort wohl aufhalten mag? Die Schneise bleibt, es wird weder ein Park noch anderes urbanes Leben entstehen. Mehr noch: Um das Bauprojekt abzuwickeln, sollen erst einmal viele hundert der in vier Reihen gepflanzten wertvollen Bäume zwischen Donnersbergerbrücke und Olympiaharfe gefällt werden, allein 70 rund um den Kunstrasen beim FT Gern haben wir selbst gezählt. Dabei sind Bäume die besten Luftfilter, die es gibt. Wir brauchen mehr davon! Neue gepflanzte Bäume brauchen 30 Jahre, bis sie eine halbwegs wertvolle Krone haben, Schatten spenden und gut CO2 binden. Der Klimawandel zeigt langsam seine Ernsthaftigkeit, aber wir leben, als wenn es kein Morgen gäbe! Wir zitieren wieder aus dem Ausschussprotokoll in Bezug auf das Gebiet an der Nymphenburger Straße: „Der Abschnitt ist heute noch mit vier durchgehenden Baumreihen begrünt; künftig wäre bei Errichtung der Rampen im besten Fall noch eine Baumreihe möglich.“ Und: Der „Alleecharakter geht verloren“.
Thema Lebensqualität und Wertentwicklung
Die reinen Tunnelbauarbeiten werden mindestens sechs Jahre dauern, wahrscheinlich länger. Kahlschlag, Lärm und Dreck werden bis weit in die hinteren Straßen hinein spürbar sein. Was machen die anliegenden Geschäfte und Restaurants in dieser Zeit? Wo werden die Fußgänger bleiben? Wie wird es sich in den Wohnungen aushalten lassen? Eine spätere Wertsteigerung von Immobilien durch den Tunnel ist eher unwahrscheinlich, weil sich kaum Vorteile für die Bürger zeigen. Kein Park, weniger als die alte Allee, keine Zusammenführung des Stadtviertels, keine urbane Vision. Ist das das eigentlich unser kostbares Steuerzahlergeld wert?
Und nun?
Die Bürgerinitiative „Pro Landshuter Allee Tunnel“ setzt sich dafür ein, dass die Straße oberhalb des Tunnels vor dem FT Gern so geführt wird, dass der Verein direkt ans Grün angebunden wird. Ist okay. Die kleine Gruppe engagierter Neuhauser hat, wenn es gut geht, eine Filtrierung der Schadstoffe angestoßen und bleibt auch zukünftig am Ball. Sehr gut. Vielleicht können Sie, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, noch mehr tun? Wir fragen Sie: Gibt es weitere Ansätze, die verkehrliche Zukunft unseres Viertels konstruktiv zu gestalten? Und wir denken auch selbst weiter nach: Reicht es aus, sich allein auf die Politiker auf kommunaler und Landesebene inklusive der Stadtplaner zu verlassen? Haben diese überhaupt genug Spielraum, das Richtige, weil Zukunftstaugliche zu tun? Brauchen wir wirklich einen Tunnel angesichts der ernüchternden Tatsachen?
Die Zeit der autogerechten Stadt ist längst vorbei. Warum aber ist Verkehrspolitik in München immer noch so autolastig? Und wenn sie es schon bleibt: warum schließt man dann nicht den Autobahnring A 99 um München herum, um wenigstens den Durchgangsverkehr zu reduzieren und ein noch lebendiges Viertel wie unseres vor weiterer Zerstörung zu bewahren? Jedes Dorf bekommt seine Umgehungsstraße. Bei uns darf die ganze Welt durchs Wohnzimmer fahren.
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