In diesen Tagen erhält Christine Bronner den „Prix Courage“. Dieser wird vom ZDF und der dort beheimateten Mona-Lisa-Redaktion vergeben für nicht prominente Menschen, die in Vollzeit und unbezahlt seit einigen Jahren erfolgreich ein brisantes Gesellschaftsfeld bearbeiten. Voilà: Christine Bronner kümmert sich um Familien, in denen eine medizinische Diagnose alles auf den Kopf gestellt hat und in ihren Auswirkungen einem Tsunami mit großem Zerstörungspotenzial gleichkommt. Ihr Projekt: FANKI, ein Beratungs- und Betreuungszentrum für Familien mit schwerstkranken Kindern und Jugendlichen mit dem Angebot von Familiennachsorge, Selbsthilfeangeboten, Krisenintervention und Kinderhospizarbeit unter dem Dach der Stiftung Ambulantes Kinderhospiz München – AKM. Es ist in dieser Form einzigartig in Bayern – und in der Blutenburgstraße 66 zu Hause.

LOL: Frau Bronner, wir gratulieren Ihnen zu dem Prix Courage. Wir haben uns sagen lassen, dass sie davon völlig überrascht wurden …

CB: In der Tat! Für den Prix Courage bewirbt man sich nicht. Dass wir ihn erhalten würden, haben wir erst im August erfahren. Die Freude ist riesengroß, da wir die Preisgelder gleich wieder in unsere Stiftung stecken werden.

LOL: Sie sind Stifterin und geschäftsführender Vorstand der Stiftung AKM und die Leitung von FANKI. Was ist das genau? Wir wissen nur, dass ein Hospiz für Erwachsene ein Haus zum friedlichen Sterben ist. Was aber bedeutet Kinderhospizarbeit? Hier in Ihren Räumen spürt man nichts vom Sterben, sondern vor allem die Freude am Leben.

CB: Darum geht es uns, um das Leben: um das Leben von Kindern, die eine schwere, meist chronische Krankheit haben, die tödlich verlaufen kann. Und es geht uns um das Leben der Familien, die ein Kind mit einer entsprechenden Diagnose haben. Das sind eigentlich ganz normale Familien. Aber irgendwann kam ein Kind auf die Welt, das einen Herzfehler hatte. Oder das Kind hatte einen Unfall im Fluss, auf der Straße oder im Skigebiet. Vielleicht erkennt auch irgendwann der Kinderarzt ein Problem und eine seltene Krankheit, zu der die Wissenschaft noch schweigt. Natürlich gehört auch die Krebsdiagnose zu den Alpträumen der Eltern. Krebsfälle allerdings machen nur etwa ein Fünftel aller Erkrankungen aus.

LOL: Von wie vielen Kindern reden Sie in etwa?

CB: Die Zahlen sind höher, als Sie denken. 23 bis 24 Prozent der Kinder sind chronisch krank, sie haben zum Beispiel Diabetes oder eine Allergie. Über ein Prozent der Kinder sind schwerbehindert. Unsere Patienten sind meist beides, chronisch krank und schwerbehindert. Sie haben zum Beispiel Nieren- oder Muskelprobleme oder sind mehrfach schwerstbehindert. Manche müssen dauerhaft beatmet werden, bei manchen geht es tagein, tagaus um Leben und Tod. Wir haben in Bayern etwa 3.000 bis 4.000 Kinder zu betreuen. Dazu kommen ihre Familien.

LOL: Sie sprechen von einem Tsunami, der auf die Familie zurast, wenn die Diagnose eintrifft. Inwiefern?

CB: Normalerweise rechnet ja niemand mit einem Problem seines Kindes. Kinder sind die Zukunft, sie müssen gesund sein und meistens sind sie es auch. Wenn es anders kommt, treffen viele Faktoren aufeinander, die ein klassisches Trauma ausmachen: Das Schicksal schlägt völlig überraschend zu, ein Weglaufen ist nicht möglich. Man ist verzweifelt, ausgeliefert und verliert zeitweise die Kontrolle über seine Gefühle und das gesamte Geschehen. In allen Fällen steckt der Patient in akuter Lebensgefahr, oft sogar über viele Jahre hinweg. Können Sie sich vorstellen, mit einem Kind zu leben, das immer mal wieder reanimiert werden muss? Für manche Familien ist das aber der Alltag. Seit der Diagnose ist nichts mehr, wie es einmal war. Oft gibt ein Elternteil seinen Beruf auf. Die Zeit für andere Aktivitäten wird knapp. Freunde ziehen sich zurück. Die Seele leidet. Und manchmal treten auch noch Schuldgefühle auf.

LOL: Was können Sie tun?

CB: Im Idealfall sind wir ab der Diagnose bei den Familien und leisten Krisenintervention. Das klingt einfach, ist es aber nicht. Wenn zum Beispiel die Eltern ins Unfallkrankenhaus bestellt werden, muss sich sofort jemand um die Daheimgebliebenen – oft sind das die Geschwisterkinder – kümmern. Eine Welt stürzt ein, und jeder braucht Hilfe auf seine Weise. Wir versuchen in vielen kleinen Schritten, das Trauma frühzeitig aufzufangen. Wenn das unterbleibt, leiden die Beteiligten ein ganzes Leben lang.
LOL: Wie viel Gewicht haben FANKI und die Stiftung Ambulantes Kinderhospiz München – AKM?

CB: Auch dazu ein Bild: Ich sehe ein Mobile vor mir, an dem plötzlich ein ganz schweres Element hängt, meistens in der Größenordnung eines Elefanten. Um das Mobile wieder in Harmonie zu bringen, müssen wir an allen anderen Elementen Gegengewichte anbringen. Es gibt so viele Aufgaben. Wir kümmern uns um Behördengänge, informieren die Mitmenschen, spielen mit den Geschwisterkindern, organisieren Auszeiten für die Eltern, machen Krankenhausbesuche – und sind rund um die Uhr für die Familie da, als wenn es sich um die eigene Familie handelte. Mittlerweile haben wir mehr als 200 ehrenamtliche Mitarbeiter als Familienhelfer sehr gut ausgebildet. Sie übernehmen Verantwortung und werden eine verbindliche Größe im Leben der Betroffenen.

LOL: Wird diese Betreuung sonst von niemandem geleistet?

CB: Leider nein. Familien mit einem schwerstkranken Kind stehen oft völlig allein da. Es gibt alleinerziehende Mütter und Väter, die das von Beginn an allein meistern müssen. Und es gibt Beziehungen, die an der großen Aufgabe zerbrechen. Selbst wenn die Ehe hält: In der Gesellschaft gibt es kaum ein Bewusstsein für diese ungemein schwierige Familienkonstellation. Man glaubt, die Zahl der schwerstkranken Kinder sei klein, die Probleme könnten von Ärzten und Krankenhäusern gelöst werden. Tatsache aber ist: Die medizinische Betreuung allein reicht nicht. Und das private Netzwerk ist sehr schnell überfordert.

Unsere Gesellschaft gibt derzeit sehr viel Geld für die Pflege älterer Menschen aus. Das sei diesen gegönnt. Allerdings sind die Krankheiten des Alters keine Traumata, sondern ganz normale Prozesse. Es ist Teil unserer Lebensaufgabe, uns mit dem Alter und dem Tod zu beschäftigen. Derzeit sind die meisten Entscheidungsträger selbst in einem Alter, in dem sie ihre Eltern alt werden sehen. Sie sind erschreckt – und beschließen, alles verfügbare Geld in die Pflegeeinrichtungen zu stecken. Aber wer erschrickt beim Anblick leidender junger Menschen? Schwerstkranke Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene sind noch nicht im öffentlichen Bewusstsein angekommen. Oft sind sie ja auch unsichtbar. Das wollen wir ändern.

Die Stiftung Ambulantes Kinderhospiz München – AKM arbeitet präventiv. Indem wir durch FANKI jungen Patienten und deren Familien helfen, die Lebensqualität so weit wie möglich zu verbessern, stabilisieren wir alle Beteiligten. Familien, die nicht im Stich gelassen werden, werden der Gemeinschaft auch etwas zurückgeben. Ein Geschwisterkind, das seine Sorgen nicht allein verarbeiten muss, wird die Last seiner Jugend irgendwann in eine Ressource verwandeln können.

LOL: Woran messen Sie den Erfolg Ihrer Arbeit?

CB: Jedes Kinderlachen ist ein Erfolg, jeder Augenblick, der genossen werden kann. Kinder machen uns vor, wie das geht. Sie leben in der Gegenwart. Wir können viel von ihnen lernen. Für mich ist es auch ein Erfolg, wenn wir Kindern Herzenswünsche erfüllen. Noch einmal die Nordsee sehen – wie Benni es zum Beispiel erlebt hat, bevor er mit 20 Jahren starb. Ich finde es auch beeindruckend zu beobachten, dass Kinder dank umfassender Förderung so selbstbewusst werden können, dass sie alle Apparate zum Klingeln bringen, um ihren Willen durchzusetzen. Das Leben ist bunt, auch mit kranken Kindern. Wir sollten uns einfach darauf einlassen. Manchmal geschehen sogar kleine Wunder und Kinder, die viele Torturen durchleiden mussten, werden wieder gesund – wie der elfjährige Michael, der an Leukämie erkrankt war und heute als guter Schüler und begeisterter Ministrant auf sein Leben blickt. Ich bin überzeugt davon, dass dies in einer Familie, die von außen Unterstützung erfährt, eher geschieht als dort, wo Schmerzen, Bitterkeit und das Gefühl der Verlassenheit die Oberhand behalten können, weil niemand hinschauen mag.

Christine Bronner
Gründerin und Leiterin des Ambulanten Kinderhospizes

Christine Bronner hat selbst zwei Kinder verloren. Im Herbst 2004 entschied sie sich, das ambulante Kinderhospiz aufzubauen. 2005 wurde die Stiftung gegründet – das Stiftungskapital in Höhe von 100.000 Euro stammt aus dem Erbe von Christine Bronners Eltern. Die Mona-Lisa-Redaktion bezeichnete sie jüngst als „Engel in schwerster Stunde“.

Auch Sie können das Kinderhospiz unterstützen

• Jede Spende hilft, denn anders als die Hospizarbeit für Erwachsene ist die Hospizarbeit für Kinder stark von Spendeneinnahmen abhängig. Weitere Informationen dazu finden Sie unter www.ambulantes-kinderhospiz-muenchen.de/

• Möchten Sie Familienhelfer werden? Bewerben Sie sich. Derzeit arbeiten rund 200 ehrenamtlich tätige Familienhelfer für das Ambulante Kinderhospiz.

• Auch wer weder Geld noch Zeit hat, kann das Projekt von Christine Bronner voranbringen: Erzählen Sie Betroffenen von der Stiftung und ermutigen Sie Freunde und Kollegen zum Engagement.