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Eigentlich ist der Stadtbezirk 9 Neuhausen–Nymphenburg fertig, sagt unser Bauchgefühl. Wir laufen durch die charakteristischen Straßenzüge mit altem Baubestand, der noch aufs 19. Jahrhundert verweist. Die meisten der durch den Zweiten Weltkrieg entstandenen Baulücken wurden in den Fünfzigern oder Sechzigern geschlossen – und in den letzten Jahren entstanden entlang der Bahn zahlreiche moderne Wohn- und Bürokomplexe. Müsste diese Bauphase nicht längst beendet sein? Mehr Bau geht jetzt nicht mehr, denken wir, aber die Augen entdecken immer wieder neue Projekte. München wächst unaufhaltsam, nicht nur in der Fläche und in die Landkreise hinein. Urbane Verdichtung heißt der Trend auch in unserem Stadtteil, der mit einer Bevölkerungsdichte von 7.551 Einwohnern pro Quadratkilometer nur 103 Köpfe weniger auf dieser Fläche zählt als Singapur. Wird’s eng? Wird’s anders? Oder wird es schön? Wir haben uns Bauplätze angeschaut und uns über kommende Projekte informiert.

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2.800 Finanzbeamte werden in den nächsten 18 Jahren im Areal zwischen Deroystraße, Marsstraße und Arnulfstraße aus der ganzen Stadt zusammengezogen. Sie werden dann im größten Finanzamt Europas, dem so genannten Steuer-Campus, ihren Dienst tun – und dies sehr viel besser als je zuvor, weil sie nicht mehr über sechs Standorte in der Stadt verteilt arbeiten, sondern an einem Ort und miteinander. So versprach es Markus Söder, der bayerische Finanzminister, anlässlich des ersten Spatenstichs des 1. Bauabschnitts im Oktober 2015. Bis 2018 soll die erste Komponente des vom Nürnberger Architektenbüro Bär, Stadelmann, Stöcker geplanten Steuer-Campus auf der bisherigen Parkplatzfläche fertig sein. Sukzessive folgen die nächsten Gebäude, bis schlussendlich auch das erst 2003 eröffnete Servicezentrum abgerissen und durch einen Neubau ersetzt wird. Schon vor etlichen Jahren, als der Finanzminister noch Kurt Faltlhauser hieß, war bereits die Idee eines „Tax Tower“ erörtert worden. Möge jeder selbst entscheiden, ob das eine interessantere Variante geworden wäre. So jedenfalls wird das Gelände, in dem aktuell eine riesige Baugrube klafft, sich in ein Arrangement aus sechs Atriumhäusern und einer Grünfläche samt Baumbestand verwandeln. Ob es sich dann wie von Söder angekündigt um eine bauliche Aufwertung des gesamten Stadtviertels handeln wird, bleibt aus Bürgersicht abzuwarten. Erfreulich ist es jedenfalls, dass die Stadt München gefordert hat, Freiflächen für das Stadtquartier anzulegen. In der Planung ist von „aufgewerteten Grünanlagen“ die Rede. Wir sind gespannt.

Ebenfalls in der Deroystraße wird ein hochmoderner Wohnkomplex entstehen: Pandion Le Blanc. Die 81 Neubauwohnungen auf dem Gelände des ehemaligen Postfuhramts zielen auf eine jüngere, kaufkräftige Kundschaft. Auf dem denkmalgeschützten Areal haben sich Büros und Ateliers der Kreativbranche angesiedelt. Der Neubau Pandion Le Blanc wird mit seiner auffallend weiß gekachelten Fassade dazu einen interessanten Kontrast schaffen. Der von den Baseler Architekten Christ und Gantenbein entworfene Bau beginnt noch im Frühjahr. 2018 soll er fertig sein.

Von der Marsstraße über die Arnulfstraße in die Helmholzstraße hinein – und wenn es nicht mehr weitergeht, trotzdem auf Linie bleiben … So erreichen wir die nächste spannende Bausstelle, an der die Bauarbeiten ebenfalls in diesen Tagen beginnen dürften: Dabei handelt es sich um eine etwa 240 Meter lange und bis zu sechs Meter breite Fuß- und Radwegbrücke über die 37 S-Bahn- und Zuggleise hinweg – hinüber zur Schwanthalerhöhe. Für dieses Projekt zeichnet die Stadt München verantwortlich – und der elegante Entwurf stammt von den Architekten Lang, Hugger und Rampp aus München. Das aufwändige Bauvorhaben soll Ende 2017 fertig werden. Für die Fußgänger in unmittelbarer Wohnnähe wird sich ein toller Blick auf die City sowie die neue Welt auf der anderen Seite erschließen. Radler dürfen sich darüber freuen, nicht mehr auf die Donnersbergerbrücke oder die Hackerbrücke angewiesen zu sein. Das Nachsehen haben Rollstuhlfahrer und Eltern mit Kinderwagen, für die es wegen der Oberleitungen der Bahn keinen barrierefreien Zugang zum S-Bahnhof Donnersbergerbrücke geben kann. Immerhin: Die Brücke selbst ist am nördlichen und am südlichen Zugang barrierefrei. Und der S-Bahnhof Donnersbergerbrücke wurde jüngst barrierefrei ausgebaut und kann über Aufzüge und Rolltreppen auch von Menschen mit eingeschränkter Mobilität erschlossen werden.

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Die Paketpost in der Arnulfstraße hat Teile ihres Geländes verkauft. Dort, wo gerade die Flachbauten abgerissen werden, und auch auf dem Gelände dahinter entstehen 342 neue Eigentumswohnungen – auch wieder vom Kölner Immobilien-Entwickler Pandion. Die Pandion Gardens an der Schäringerstraße sind bereits fertig. Pandion Reflect, an der Kreuzung von Schäringerstraße und Arnulfstraße gelegen, wird 2018 bezugsfertig sein. Aktuell werden die zwischen 41 und 132 Quadratmeter großen Wohnungen bereits verkauft. Der Entwurf für diesen Bau stammt übrigens vom Hamburger Stararchitekten Hadi Teherani. Er setzt Akzente durch eine aufwändige Holz-Feinsteinzeug-Fassade. „Wieder nur Wohnraum für Menschen, die sich viel leisten können“, werden manche Anwohner sagen – und damit haben sie zweifelsohne Recht. Allerdings geben wir zu bedenken, dass jeder neue Wohnraum in der Stadt einen Beitrag zur Entspannung des Mietmarkts leistet. Vielleicht wird ja durch den Umzug der Betuchteren eine günstigere Wohnung für andere frei?

Kap West: So nennt sich ein spektakuläres Bürogebäude an der Friedenheimer Brücke, das dem Wohnquartier am Hirschgarten einen auf einem Sockel aufsitzenden quaderförmigen Turm beschert. 60 Meter hoch wird das Objekt sein und damit das 53 Meter hohe Gegenüber namens „Friends“, das 130 Eigentumswohnungen beherbergen wird, um weitere sieben Meter überragen. Kap West wurde vom in Amsterdam ansässigen Büro Wiel Arets Architects entworfen und war der Sieger eines internationalen Wettbewerbs. Es soll großzügige Höfe sowie begrünte Dächer erhalten – und ebenfalls 2018 fertig sein.

Auch in der Wotanstraße wird sich einiges verändern. Kurz vor der Laimer Unterführung findet sich linker Hand ein unbebautes Gelände in Form einer dicht bewachsenen Böschung mit Hinterland. 25.000 Quadratmeter Bürofläche sollen dort entstehen, plant die CA Immo, ein weiterer Projektentwickler in der Stadt. Unter dem ungewöhnlichen Namen MY.O, was für „My Office“ steht, wollen sie den Entwurf des Münchner Architektenbüros Maier, Neuberger umsetzen: einen gegliederten Bürokomplex mit mehreren extravaganten Gebäuden, die allesamt Bögen, Arkaden und lindgrüne Fassaden haben. Zur Wotanstraße hin soll es eine riesige Freitreppe und einen neuen Platz als kommunikatives Zentrum geben. Bei der Stadtgestaltungskommission fand das Projekt Anklang. Der Bauantrag wird Mitte des Jahres eingereicht. Auch das MY.O könnte 2018 bezugsfertig sein.

Ja, es wird enger, überall. Weil die Stadt wächst wie kaum eine andere, verschwinden auch in unserem schon dicht besiedelten Viertel die letzten Freiflächen nach und nach. Ob’s schöner wird? Auch das kann sein.