Wenn trübes Winterwetter auf die Stimmung schlägt, trotzt ein Ort in München der Jahreszeit: die Gewächs- häuser des botanischen Gartens in Nymphenburg.

Schon wenn man das erste der drei großen Konstrukte aus Glas und Metall betritt, ist es, als habe man in eine andere Welt gewechselt: Unvermutet steht man in der amerikanischen Wüste. „Das Wort „Wüste“ hört sich öd und leer an, das ist sie aber überhaupt nicht“, erklärt Dr. Ehrentraud Bayer, seit 1993 leitende Sammlungsdirektorin des botanischen Gartens, und erzählt uns über die vielen verschiedenen Kakteen und Agaven, die hier leben. Ihr Jobtitel hört sich ebenfalls etwas trocken an – und ist es nicht, wenn man hört, mit welcher Begeisterung sie ihr umfassendes Sachwissen vorträgt. Keine Frage: Dr. Bayer liebt die Pflanzen, die ihr anvertraut sind, ist fasziniert von ihnen und staunt über sie wie die vielen Besucher, die die Gewächshäuser gerade im Winter anlocken. Zu dieser Jahreszeit kommen nicht die Touristen, sondern die Münchner selbst, um für einige Stunden in exotische Wunderwelten abzutauchen. Als 2016 die Titanenwurz blühte, wurden viele Leute erst durch diese botanische Sensation auf die blühende Oase mitten in Nymphenburg aufmerksam. Auch die lange Nacht der Museen bringt jedes Mal neue Gäste, besonders viele Jugendliche, die von der Schönheit und Vielfalt der Häuser angetan sind und die Reihen der Stammgäste ergänzen. Keine Frage: Hier gibt es eine Unmenge zu entdecken, und bei jedem Besuch überrascht auch etwas Anderes, eine neue Blüte, eine Frucht, ein Sprössling.

So schmückt sich aktuell die große Agave gleich beim Eingang mit einem pfeilgeraden Blütenstand, der fast an die hohe Kuppel stößt. Es ist eine Henneken-Agave aus Mexiko, aus deren langen, spitzen Blättern Fasern gewonnen werden, die sogar noch besser als Sisal sein sollen. Diese Pflanzenarzt lebt ungefähr 80, 90 Jahre lang, bis sie genug Kraft gesammelt hat, um einen Blütenstand zu schieben, wobei sie sich völlig verausgabt. Agaven blühen nur einmal im Leben, was vielleicht zwei Wochen dauert – dann sterben sie. Beileibe kein alltägliches Ereignis, wie Dr. Bayer bestätigt. Sie vermutet, dass es noch den ganzen Dezember dauern kann, bis sie zur Blüte kommt. 

Die Luft in dieser ersten Halle trocken und nicht besonders warm. Dies wird sich auf den nächsten 4500 Quadratmetern noch mehrfach ändern. Die drei Haupthallen sind von West nach Ost ausgerichtet: Nach der Eingangshalle kommt das zentrale Tropenhaus mit einer 21 Meter hohen Kuppel, die mit ihren vielen mächtigen Palmen einen Eindruck dessen vermittelt, was alles in tropischen Urwäldern wächst. Sie führt in die dritte Halle, wo sich Wolfsmilchgewächse in Gestalt von Kakteen sowie Aloen so wohl fühlen wie daheim in Afrika und Madagaskar. Von diesen Hallen aus gehen nach Süden und Norden die einzelnen Häuser ab, in denen die unterschiedlichsten Klimazonen abgebildet werden. Es gibt Bereiche, wo man nur geht und staunt und schaut, und andere, wo Bänke zum Sitzen und Genießen einladen.

Dafür, dass überall Luftfeuchtigkeit und Temperatur stimmen, sorgt Gewächshausverwalter Bert Klein mit seinen Kollegen. Insgesamt arbeiten 110 Leute in den Glashäusern, darunter Schreiner, Schlosser, Glaser und Wissenschaftler. Seine Frau kümmert sich um die alpine Anzucht und den Alpengarten am Schachen. Für Klein, der seit 26 Jahren in München arbeitet, ist hier eine Leidenschaft zum Beruf geworden. Er ist auch Reviergärtner der Orchideen, von deren Vielfalt er fasziniert ist. „30.000 Naturarten, 150.000 bekannte Hybride, und ständig wird etwas Neues entdeckt“, schwärmt er. Er selbst hat in Costa Rica eine Mini-Orchidee entdeckt und benannt: Lepanthes Kleinii.

Beim Orchideenhaus handelt es sich um ein tropisches Tieflandregenhaus, in dem auch nachts die Temperatur nicht unter 20 Grad fällt und das Heim für wärmeliebende Orchideenarten ist. Von der Idee, hier eine kalte Winternacht auszusitzen, rät er lachend ab: „Hier wird es sehr laut. Die Antennenpfeiffrösche sind nachtaktiv und geben pro Sekunde einen Ton ab. Außerdem gibt es auch Kakerlaken – viel Vergnüngen!“ Hier wird weder konventioneller noch biologischer Pflanzenschutz betrieben, um die Fauna nicht zu stören, die hier der Flora Gesellschaft leistet: Neben Fröschen auch Geckos, ein Leguan und jede Menge Wasserschildkröten, von denen nur wenige einen Namen haben, wie Otti, Amaryllis oder dicke Maria. Wenn die nicht genügend Bewegung bekommen, können sie übrigens wirklich so dick werden, dass sie nicht mehr in ihren Panzer passen – hätten Sie’s gewusst?

Betört vom Duft der Fangipani, geht es vorbei an der südafrikanischen Strilizie mit ihrer extravaganten Blütenform und an mindestens 80 Jahren alten, massiven „Elefantenfüßen“ zum Victoriahaus – eins der schönsten Häuser, wie Dr. Bayer findet, frisch renoviert nach den Vorgaben des Denkmalschutz. Wo im Sommer hinter der mehr als 100 Jahre alten originalen Balustrade das Wasserbecken mit der Riesenseerose „Victoria“ die Besucher bezaubert, stehen ab Oktober mediterrane Pflanzen, die es gerne hell und kühl haben, aber nicht frosthart sind. Die Seerosen werden jedes Jahr von Neuem aus Samen gezogen, die Lotos überwintert als Wurzelstock in Erde eingepackt. „Früher liebte man es, die jeweils angesagten Pflanzen in Fülle zu zeigen“, erklärt Dr. Bayer. „Da war dann ein Haus voll mit Azaleen und nichts anderem.“ Pflanzen wurde wie Ausstellungsstücke präsentiert, während man sie heute gern im natürlichen Umfeld unterbringt. Als Vorbild für den königlich-botanischen Garten München-Nymphenburg diente der Palmengarten in Frankfurt, der sich wiederum von Kew Gardens in London inspirieren ließ.

Der Garten in Nymphenburg hatte einen Vorläufer in der Stadtmitte, der nach Entwürfen des bekannten Gartengestalters Friedrich Ludwig von Sckell gestaltet und 1812 eröffnet wurde. Das spektakuläre Gewächshaus, das dort stand, wurde abgerissen, weil der König von Bayern an dieser Stelle den Glaspalast für die erste deutsche Industrie-Ausstellung bauen ließ. Dieser ließ sich später dann nicht wie geplant zu einem Gewächshaus umzufunktionieren. Dem Engagement des Botanikers Karl Goebel, der später dessen erster Direktor wurde, ist zu verdanken, dass der neue Garten verwirklicht wurde: durch den Schlosspark vor Bebauung der unmittelbaren Nachbarschaft und das Kapuzinerhölzl vor Unwetter vom Westen geschützt, wurde er wenige Monate vor Ausbruch des 1. Weltkriegs fertiggestellt.

Noch aus den Anfängen der Gewächshäuser stammt die künstliche Grotte im Haus der Palmfarne, die damals noch mit Baumfarnen bestückt war. Zusammen mit der Tuffsteinwand wollte hier die Wegführung, beides noch original erhalten, den Besuchern den Eindruck geben, durch eine tropische Farnschlucht zu wandeln. Als dann die Farne zweimal von einer Krankheit befallen wurden, hat man sie ins Palmfarmhaus gebracht und die Palmfarme hierher – ein Wechsel, der die gewünschte Wirkung zeigte. Nicht immer gelingt das. Manche Pflanzen, die eingehen, sind einfach unersetzlich, wie Dr. Bayer weiss, und nicht immer kann man ihnen das Optimale bieten: „Wenn wir nur Einzelexemplare haben, die zur Bestäubung einen männnlichen Gegenpart oder genetisch verschiedenen Partner bräuchten, ist das schon traurig.“ Dann tragen die Pflanzen Blüten, aber keine Früchte – wie auch das Nachtschattengewächs Solandra aus Mexiko, das in der dritten Halle mit prächtigen goldgelben Blüten beeindruckt, die in der Natur vermutlich durch Fledermäuse bestäubt werden. Hier ist auch das Reich der Sukkulenten: Aloen, Agaven und Kaktazeen, den Bewohnern der ersten Halle recht ähnlich. Franziska Berger, die für sie zuständig ist, ist von der Anpassungsfähigkeit dieser wasserspeichernden Pflanzen beeindruckt und begeistert von den schönen, ästhetischen Wuchsformen und der Bedornung. „Wenn alles ringsum passt, sieht man der Pflanze an, dass sie sich wohl fühlt.“ Deshalb ermöglicht sie den Pflanzen, in ihrem natürlichen Habitus zu gedeihen. „Die meisten der Kaktusgewächse blühen im Frühjahr ganz natürlich, die anderen müssen wir ein wenig unterstützen,“ verrät Frau Berger.

EIN BESONDERER PUBLIKUMSLIEB- LING IST NATÜRLICH DAS SCHMETTER- LINGSHAUS, IN WELCHES DAS WAS- SERPFLANZENHAUS VOM 15.12.17 BIS ZUM 11.3.18 VERWANDELT WIRD.

Ein besonderer Publikumsliebling ist natürlich das Schmetterlingshaus, in welches das Wasserpflanzenhaus vom 15.12.17 bis zum 11.3.18 verwandelt wird. Vor allem Kinder sind von den bunten, anmutigen Geschöpfen begeistert, die als Puppen von Schmetterlingsfarmen aus aller Welt, etwa Costa Rica und den Phillipinen, kommen. Weil man im Sommer das Haus lüften muss, damit sich keine Pilze und Schädlinge einnisten, kann es nicht zur Dauereinrichtung werden, was das Winterspektakel zu etwas ganz Besonderem macht. Die noch lebenden Schmetterlinge kommen danach nach Augsburg, doch manche entkommen auch ins Freie und überraschen dann im Sommer die Besucher im Außengarten. Ein wunderschöner Atlasspinner hat es sich hier bei unserem Besuch noch gemütlich gemacht. Übrigens: nach dem Besuch der Schmetterlinge in dieser Saison wird die große mittlere Halle, das Palmenhaus, komplett renoviert, weshalb die Gewächshäuser aus Sicherheitsgründen ganz geschlossen werden müssen. Wie lange es dauern wird, ist bei einem Projekt dieser Größenordnung nicht absehbar, weshalb wir raten würden, den Besuch in die florale Wunderwelt nicht allzu lange aufzuschieben.

Webseite: www.botmuc.de/de/

(9000 Zeichen – Martina Pahr)

© Deed Communication Agency