Warum reisen wir? Aus geschäftlichen Gründen, um Messen, Kongresse und Kunden zu besuchen. Oder aus privaten Motiven: Die einen wollen bloß weg, raus aus dem Alltag. Die anderen haben Fernweh. Manch einer will sich und seinen Lebensentwurf in der Fremde bestätigt sehen, vielleicht zudem ein wenig mehr Spaß haben als sonst. Offenere Charaktere setzen dieser Einstellung den Wunsch nach authentischem Erleben entgegen. Bei den München-Besuchern in unseren Straßen wird dies kaum anders sein. Oder doch? Wir könnten ihnen eine Couch anbieten und sie nach Herzenslust ausfragen …
Als die Menschen noch mit Postkutschen reisten und dort Quartier fanden, wo es Futter für die Pferde gab – etwa in der Winthirstraße, wo heute der Großwirt angesiedelt ist –, ging es noch nicht, wie heute, darum, der Seele des Reisenden Gutes zu tun. Komfort? Sich selbst finden? Eine Auszeit? Eher weniger. Wer reiste, hatte eine Aufgabe zu erledigen, war also in der Regel geschäftlich unterwegs. Oder er (äußerst selten: sie) war, was nicht oft vorkam, auf Reisen, um fremde Welten zu vermessen: Ethnologen, Forscher, Freigeister. Der Freizeittourismus, wie wir ihn in der Gegenwart praktizieren, war noch nicht erfunden. Der damaligen Zeit muss auch die Idee des Fremden entstammen, die beispielsweise im Wort „Fremdenführer“ ihren sprachlichen Niederschlag fand. Draußen in der Welt: das Andere. Zu Besuch bei uns: die Fremden.
Heute wissen wir, dass das andere nicht nur in der Ferne liegt, sondern auch in uns selbst. Unser Fremdenverkehrsamt heißt nun „München Tourismus“. Und die meisten Kulturen der Welt gelten als erforscht. Trotzdem verreisen gerade wir Deutschen mit ungebrochener Begeisterung – oft mehrmals im Jahr. Reisen ist ein Volkssport der Menschen in wohlhabenden Ländern. Wir reisen, weil Reisen für uns bezahlbar ist. Weil Reisen eine Belohnung ist und ablenkt von den Sorgen. Weil unsere Freunde und Verwandten über den Globus verteilt leben. Mobilität ist das Mantra der Moderne. Jeder reist, so oft es geht. Wir tun dies sorglos, immerhin verbinden uns Laptop und Smartphone über alle Grenzen hinweg mit unseren vertrauten Netzwerken. Brauchen wir da eigentlich noch persönliche Kontakte vor Ort? Wenn wir echte Abenteuer suchen schon, denn diese gibt es nur mit Menschen. In diesem Sinne: Hallo Touristen, wir sind die Eingeborenen von München. Gern dürft ihr euch mit uns und unserer Stadt beschäftigen!
Wir können nur mutmaßen, dass viele München-Besucher ähnliche Motive fürs Reisen haben wie wir selbst. Aus welchen Ländern sie kommen, hat München Touristik zuletzt für das erste Quartal 2013 publiziert: Rund 1,3 Millionen Gäste kamen nach München, davon 756.000 Personen aus dem Inland und 549.000 Besucher aus dem Ausland: Russland, Italien, USA, Großbritannien, Österreich und die Schweiz waren die besucherstärksten Auslandsnationen. Wer mit offenen Augen durch die Welt geht, sieht auch Menschen aus zahlreichen anderen Ländern und Kontinenten. Araber, Südamerikaner, Afrikaner. München ist ein Besuchermagnet. Die Gäste kommen, um Geschäfte zu machen, sich operieren zu lassen, die bayerische Bierkultur zu erforschen, die Pinakotheken zu besichtigen, Freunde und Familie zu besuchen oder einfach mal nachzuschauen, ob München seinen guten Ruf auch wirklich verdient. Die offizielle Zahl der Übernachtungen in der Stadt lag übrigens im ersten Quartal bei 2,6 Millionen Gästen. Ob die Couchsurfer dabei wohl mitgezählt worden sind?
Auf dem Sofa eines anderen Menschen zu übernachten, ist ein spannendes Projekt. Raus aus der Gästerolle, rein in die temporäre Wohngemeinschaft. Oder im Sinne der Internet-Plattform Couch-surfing ausgedrückt: „du hast Freunde auf der ganzen Welt, auch wenn Du sie bis heute noch nicht getroffen hast.“ Weltoffene Menschen klicken entsprechend auf www.couchsurfing.org, werden Mitglied des Netzwerks und suchen entweder einen Reisenden – oder sie bieten sich als Gastgeber an. So finden zwei oder mehrere Menschen zusammen und das Abenteuer Mensch beginnt, vielleicht sogar rund um den Rotkreuzplatz. Das Ganze ist kostenfrei, gezahlt wird allenfalls für die Wäsche oder das Essen. Selbstverständlich kann man die Begegnung auch mit einem Gastgeschenk freundlich einleiten. Wer davon Gebrauch macht? Wir haben nachgeschaut: Kurz vor Redaktionsschluss suchten vor allem Menschen unter 30, aber auch einige wenige Ältere aus den USA, Norwegen, China, Frankreich, Österreich, (Weiß-)Russland und Australien ein Bett in München. Sie alle werden in den nächsten Wochen als Botschafter eintreffen, die uns etwas aus ihrem Land erzählen und etwas von uns mitnehmen möchten. Und sei es einfach Gastfreundschaft.
Eine zeitlose, ursprüngliche und oft auch abenteuerliche Form der Übernachtung ist das Zelten. Gleich hinter dem Botanischen Garten, im Kapuzinerhölzl, gibt es das spannende THE TENT, ein preiswertes Hostel, getragen vom Kreisjugendring der Stadt München. Das ist 24 Stunden am Tag geöffnet und wird von Rucksacktouristen aus der ganzen Welt angesteuert. THE TENT ist ein Sommerquartier. Man schläft im Betten- oder Gruppenzelt, im Bodenzelt oder auf dem Campingplatz. Bis zum 7. Oktober bleibt diese nicht gewinnorientierte und ökologisch ausgerichtete, charmante Einrichtung heuer geöffnet. Ob die Besucher, die zweifelsohne weltoffen und abenteuerlustig sind, mit uns normalen Menschen in Neuhausen, Nymphenburg oder Gern in Kontakt treten mögen, können wir bei Trambahnfahrten in die Innenstadt herausfinden. Einfach mal ganz gechillt nachfragen, ob sie THE TENT empfehlen würden. Dann werden sie schon lossprudeln.