Jahrelang führte das traditionsreiche Lokal namens Großwirt – an der Kreuzung Winthirstraße/Volkartstraße gelegen – ein eher ruhiges Dasein mit wenigen Gästen in düster stimmender Einrichtung. Das architektonische Potenzial des seit 1583 bestehenden und 1904 auf gleichem Gelände neu errichteten Gasthauses – zentrale Lage und hohe, lichte Räume – lag mehr oder weniger brach. Erst 2011 übernahmen Alon Gleibs und Christoph Klingele als neue Wirtsleute den Betrieb. Seit August präsentieren sie der Öffentlichkeit einen entschlackten, verjüngten und großstädtischen Großwirt.

Viele Gasthöfe und Restaurants in Nymphenburg, Neuhausen und Gern haben sich auf eine Länderküche oder ein soziales Milieu spezialisiert – was die erfreuliche Vielfalt und Tiefe des gastronomischen Angebots ausmacht. Neben diesen Spezialisten sind Generalisten allerdings eher selten zu finden. Der neue Großwirt besetzt dieses Feld, was nicht wirklich überraschend ist, wenn man weiß, dass die alte Tafernwirtschaft einst auch als Post- und Pferdestation diente. Seit dem letzten Sommer also gibt es im Herzen Neuhausens, rund um den einstigen Dorfkern des Viertels, einen Gasthof für Alteingesessene und Durchreisende, Alte und Junge, Fußgänger und Pferdestärkennarren …


Morgens, mittags, abends, nachts: Der Großwirt ist darauf eingestellt, seine Gäste zu jeder Tageszeit willkommen zu heißen. Die klassische Einrichtung mit Lederbänken, Tischgruppen und einer langen Bar gibt Raum für die unterschiedlichsten Stimmungen und Bedürfnisse. Allein einen Espresso genießen und die Zeitung lesen, sich mit Freundinnen und Kindersegen ein Wellnessfrühstück gönnen oder zwischen zwei chirurgischen Eingriffen ein Lunch: Im Großwirt kommen alle zusammen. Nachmittags gibt es feine Patisserie, abends frische Gerichte von der Wochenkarte  oder aus dem festen Programm.

 

Wir haben einige Gänge getestet und waren beeindruckt von der Qualität aller Speisen. Die Crèmesuppe von Grana Padano mit frittiertem Rucola und Limonenöl beglückte uns Italophile durch noch unbekannte Gaumenfreuden, die frischen und in Honigbutter geschwenkten Ravioli mit Apfel-Ziegenfrischkäse-Füllung zergingen auf der Zunge, die geschmorte Barbarie-Entenkeule auf Orangen-Risotto war zart und bissfest zugleich. Auch die Desserts – alle zum Preis unter fünf Euro zu haben – zeigten uns, dass der Küchenchef seinen Job ausgezeichnet und mit Hingabe macht. Junge Gäste finden gehobene Burger auf der Karte, Kalorienbewusste frische Salate tagesfrisch aus der Großmarkthalle, Vegetarier fleischlose Alternativen wie den Teller „50 Jahre Israel“, hungrige Burschen saftige Steaks vom Lavasteingrill, Traditionalisten (mittwochs) ihren Schweinebraten …

Wenn es draußen dunkel wird und die Beleuchtung im Großwirt ihre volle Wirkung entfaltet, zeigt sich, mit wie viel Liebe zum Detail die alte Wirtschaft auf Vordermann gebracht wurde. Da funkelt die italienische Kaffeemaschine, das Ölbild auf der roten Wand erzählt vom urbanen Leben in der Ferne und die mächtige Uhr erinnert uns an große Bahnhöfe, die wir auf langen Reisen entdecken durften. Wir schlürfen noch einen letzten Long Island Ice Tea und sind uns einig: ein Wohnzimmer für Weltenbürger. Wunderbar!