Anders als die meisten Restaurants hat sich das Tiziano nicht dort angesiedelt, wo Menschen und Autos vorbeikommen und spontan beschließen, jetzt einzukehren. Eine mutige Entscheidung – und eine richtige. Denn dieser kleine Italiener an der Kreuzung von Gerner Straße und Tizianstraße wird liebevoll geführt, Service und Ambiente stimmen, das Essen ist frisch und köstlich. Alles spricht also dafür, einen zweiten Besuch zu planen, dann den dritten und so weiter. Tja, eigentlich sollten wir gar nicht darüber berichten …
Man sage dem Kellner eines normalen Restaurants, dass eine Person am Tisch auf Gluten verzichten muss. Und erkenne daran, welcher Art die Küche ist. Im Tiziano – das können wir gar nicht hoch genug anrechnen, weil die Frage nach dem Gluten keine Testfrage, sondern eine echte war – wurde die Sache mit Grandezza behandelt: Der Rosmarinmantel des Kalbsfilets beispielsweise wurde kurzerhand weggelassen. Oha, der Koch kennt sein Essen – eine längst nicht selbstverständliche Tugend.
Seit sieben Jahren gibt es das Tiziano. Gastgeber sind Adriano Calopresti und Claudia Canzoniere, deren Wurzeln in Kalabrien, Apulien und Franken liegen. Das Paar kennt die Küche sämtlicher Regionen Italiens, bildet seine Kochkünste trotzdem ständig weiter aus und verwöhnt seine Gäste mit aromatisch sehr ansprechenden Gerichten. Zur Einstimmung auf einen längeren Abend wählen wir den Holundersprizz, der, da nicht zu süß, nicht nur unseren Gaumen erfreut, sondern im blitzblank sauberen Glas auch die Augen dank einer süßen Himbeere und eines Minzeblatts. Im Brotkorb finden wir neben hausgemachten hellen und dunklen Broten auch feine Taralle; mit Fenchelsamen, das sind nach alter handwerklicher Tradition gebackene Teigkringel. Die machen Lust auf mehr! Eine kalte Gurkensuppe mit Shrimpseinlage zeigt, wohin die kulinarische Reise heute gehen wird: Die Suppe ist fein säuerlich, die Meerestiere haben Biss. Claudia und Adriano wechseln ihre Karte wöchentlich, und immer wieder werden die Rezepte variiert. Italienische Küche, wie wir sie aus Italien kennen: kreativ, lebendig
und authen- tisch, zur Saison passend und auf hohem Niveau verarbeitet.
Rund 30 Gäste kann das kleine, pragmatisch-modern eingerichtete Lokal aufnehmen. Die Stimmung ist familiär, das liegt auch am schönen Altbauambiente. Das elegante Wandregal gibt ein Tor frei, durch das wir dem flinken Adriano in der Küche zuschauen können: wie er die frischen Produkte ruhig und konzentriert, ja fast schon liebevoll, verarbeitet. An den Wänden hängen Bilder aus der Galerie Stephan Stumpf, die das kleine Ristorante mit wechselnden Ausstellungen schmückt.
Wir genießen den von Claudia treffsicher empfohlenen Weißwein zum geräucherten Schwertfisch-Carpaccio, das uns mit marinierten roten Zwiebeln – was sie entschärft und köstlich macht – und gebratenen Jakobsmuscheln serviert wird. Ein Hauch von Thymian rundet diese Primo Piatto ab. Schade nur, dass wir die Salzmühle mit eigens importiertem Meersalz gar nicht benötigen, weil die Kombination des kühlen Schwertfischs mit den warmen Muscheln auch so schon höchste Gaumenfreuden garantiert. Als Secondo gönnen wir uns ein Kalbsfilet mit Rosmarinkruste, das keine Wünsche offenlässt. Dazu gibt es gebratenen Steinpilz und junges Mangoldgemüse mit zarten Stielen. Ein runder Vino Nobile di Montepulciano lässt uns trotz des trüben Wetters draußen – die hübsch begrünte kleine Gartenterrasse blieb heute leider geschlossen – die Sonne Italiens fühlen. Als Dolce genießen wir ein feines Parfait von der weißen Schokolade mit Himbeersauce.
Unser Fazit: Küche, Service und Wein überzeugen ohne Wenn und Aber. Das Tiziano empfiehlt sich für besondere Genussmomente.
Das Restaurant hat dienstags bis samstags mittags ab 11.30 für drei Stunden geöffnet und bietet dann auch kleine Lunch-Menüs an. Alle Produkte werden à la Minute zubereitet. Die Abendküche ist montags bis samstags ab 18 Uhr geöffnet. Reservierungen sind empfehlenswert.