Neulich in der Redaktionskonferenz: Unser Kreativdirektor kann es kaum erwarten, seinen Themenvorschlag für die Jubiläumsausgabe von LocalLIFE zu präsentieren: Die Eisbach-Surfer. „Wieso denn, das ist doch ein Lehel-Thema?“, frage ich zögernd. „Nein, überhaupt nicht!“, kontert der Sportbegeisterte und setzt sein siegessicherstes Grinsen auf: „Ich habe gerade erst drei von ihnen kennengelernt, und diese drei coolen Jungs kommen alle aus Neuhausen. Ich habe übrigens gleich einen Gesprächstermin ausgemacht: Wir treffen sie morgen auf der Cafe–Terrasse vom Haus der Kunst, gleich neben der Welle. Ich hoffe, ihr seid pünktlich dort.“


Hier ist sie also, die Geschichte über Flori, Yoyo und Tao. Als Autorin dieser Zeilen möchte ich gleich anmerken, dass sie zu schreiben viel mehr Spaß gemacht hat, als vorab zu erwarten war: Erstens haben sich unsere Gesprächspartner, die zwar erst mit einer satten Verspätung an unserem Tisch auftauchten, trotzdem als ausgesprochen nett und sympathisch entpuppt. DEFINITIV KEINE POSER! (Später dazu mehr!) Zweitens bereitete es mir Vergnügen, mich mit gut trainierten und bestens gelaunten Männern zu unterhalten– vor allem sofern sie gerade aus dem Wasser kamen und Tropfen von ihren nackten Oberkörpern abperlten. Drittens besaß ich nach dem Gespräch eine klare Vorstellung davon, wie viel Begeisterung starkes Wasser, sei es grün und süß oder blau und salzig, hervorrufen kann. Selbst eine dreckig braune Isar, vom Hochwasser in eine Hügellandschaft verwandelt, schien mir auf einmal der Inbegriff allen Glücks zu sein.

Flori Kummer, der als Erster und mit Hund Sid auf dem Arm per Skateboard zu unserem Gespräch angerollt kommt, ist seit vielen Jahren Eisbach-Surfer – und seine Leidenschaft ist stark wie am ersten Tag. Das verbindet ihn mit Yoyo Terhorst, Tao Schirrmacher und etlichen anderen – auch weiblichen! – Münchner Wellenreitern: Der Sport ist das Zentrum ihres Lebens, ohne ihn würde etwas Wesentliches fehlen. Man kann sich Ziele setzen– und sie erreichen. Flori beispielsweise sucht immer nach neuen Tricks. Und natürlich macht es einfach Spaß, auf der Welle zu reiten.
Das Publikum auf der Brücke oben nehmen die Jungs nicht wahr, es interessiert sie auch nicht. Darum kommen sie gern nachts, im Regen oder im Winter, wenn der Rummel etwas kleiner ist. Rund 200 aktive Surfer gibt es ungefähr, und jeder kennt jeden. Man freut sich über den Besuch von Star-Surfern aus al-ler Welt. Problematischer ist die Anziehungskraft der Eisbach-Welle auf wagemutige Touristen und Gelegenheitssportler: Die Szene der Freizeit-Surfer ist mittlerweile auf rund 500 Personen angestiegen. Langsam wird es eng am Eisbach.

Flori, Yoyo und Tao sind längst auch in anderen Gewässern unterwegs: Fluss-Surfen funktioniert an der Isar bei Hochwasser – wo es verboten und vor allem für Ungeübte absolut tabu ist – und an vielen anderen Plätzen dieser Welt, beispielsweise auf der Rhône oder in der kanadischen Gezeitenstromschnelle Skookumchuk Narrows. Auch das Meer ruft laut. Der geographisch nächste Ort ist die französische Atlantikküste.

Während Tao und Flori ganz normalen Berufen nachgehen, ist Yoyo ein international aktiver Profi-Surfer. Er hat sich in Contests durchgesetzt und konnte Sponsoren finden. Das Wellenreiten im Meer funktioniere anders, erzählt er uns, aber wer den Eisbach beherrsche, bringe schon die besten Voraussetzungen mit. „Man muss umdenken. Die Anstrengung ist viel größer, die Welle muss erst einmal erreicht – und dann verstanden – werden. Am Eisbach fließt das Wasser unter den Surfern durch, man muss schauen, dass man drinbleibt. Am Meer schiebt dich die Welle an.“

Auch andere Münchner sind längst ins Surf-Business eingestiegen, Quirin Rohleder beispielsweise. Seine und fünf andere Geschichte(n) erzählt der Film KEEP SURFING, ein unbedingt sehenswerter Kino-Dokumentarfilm über die Geschichte des Eisbach-Surfens, – in der auch unsere drei Neuhausener Helden – Flori in einer der Hauptrollen – zu bestaunen sind. Viele der Aufnahmen stammen von einer Kamera, die gerade mal zwei Meter über dem Wasser hing. Als Zuschauer ist man schnell mittendrin im Geschehen. Man fühlt sich wie ein Profi und lacht sich halbtot, wenn ein Urgestein des Eisbach-Surfens, Walter Strasser, der heute Didgeridoos auf Sizilien baut, bedauernd anmerkt, dass die meisten der 500 Freizeit-Surfer leider nur Poser seien: Menschen, die schnell Helden sein wollten und sich selbst über- und die Gefahren unterschätzten. Wir fragen Yoyo nach seinem Poser-Faktor und er lacht: „Ich bin in einem Alter zum Eisbach gekommen, als ich Mädchen definitiv blöd fand.“ Wie Flori und Tao ging es ihm um ein Lebensgefühl. Sich vergessen und im Augenblick leben. Sich an den Kräften der Natur messen. Surfen zu können gibt Selbstbestätigung und schafft Zufriedenheit. Voilà.

Ich hatte meine Hausaufgaben gemacht – und ließ mich nicht davon abhalten, im Redaktionsbüro erneut die Frage aufzuwerfen, ob dies denn eine Geschichte über Neuhausen sei. Ich sagte: „Dass diese Jungs mitten unter uns wohnen, ist völlig nebensächlich. Sie leben für das Wasser und im Wasser.“ Der große Eisbach-Fan antwortete mir: „Aber wir zeigen, dass man zur weltweiten Surfszene gehören kann, auch wenn man zwischen Kanal und Canaletto groß geworden ist. Es ist so einfach. Alles was du brauchst, ist die Liebe zum Wasser, ein Skatebord, um zur Welle zu rollen und ein Brett, um draufzustehen … “ Irgendwie schien er jetzt abzuschweifen. Ich glaube ja nicht, dass er Poser 501 werden will. Aber vielleicht plant er, nachts eine kleine Welle unter die Gerner Brücke zu bauen?