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Gedanken, Gefühle und Musik importieren. Fragen, Mut und Bilder exportieren. Oder umgekehrt. Grenzen spielen keine Rolle. Alles fließt. Es geht ums große Ganze – und das lässt sich nur organisch, schubladenfrei und konkret entwickeln.
Das Import Export war ursprünglich ein Gemüseladen in der Goethestraße. 2011 haben es Tuncay Acar und Michael Schild zu einer ziemlich kreativen Bar umfunktioniert. 2014 sind sie dann nach Neuhausen umgezogen. LocalLIFE hat sich im neuen Quartier in der Dachauer Straße 114 umgeschaut – und die Menschen getroffen, deren eigenes Leben aufs Engste mit diesem Projekt, das übrigens von der Stiftung Federkiel und dem Kulturreferat der Stadt München unterstützt wird, verschmolzen ist.

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Täglich ein Mittagstisch von 12:00 bis 16:00 Uhr, freitags: mit LIVE Pianomusik (Jazz/Klassik).

Tuncay Acar und Michael Schild sind die beiden „Frontmänner“ des Import Export, das sie nun im Kreativquartier als Import Export Kantine betreiben. Die Namensergänzung kam hinzu, weil zu den neuen Räumlichkeiten ein Esssaal zählt, in dem die Betreiber der Bar nach dem Umzug neue Ideen ausleben, wozu auch ein Mittagstisch von Dienstag bis Freitag gehört, der eine „simple, aber knackige Auswahl an Gerichten und Snacks mit Zutaten, die dir gut tun, zu angemessen Preisen“ bietet. Zwischen 12 und 16 Uhr lohnt es also besonders, dort vorbeizuschauen, wo Nami Taguchi den Kochlöffel in der offenen Küchenzeile der außergewöhnlich charmanten und lässigen Industriehalle schwingt. Großzügige Weite trifft auf entspannte Gemütlichkeit: Die Eisenträger sind goldfarben bemalt und die kleine Bühne mit rotem Samtvorhang fügt sich elegant ins große Ganze ein, weil sie mit einem eigenen Tisch samt Stuhlensemble für den nahtlosen Übergang der Ebenen sorgt. Minzgrüne Wände, rote und blaue Campingstühle, Sofas und Couchtische machen die Halle zu einem Ort, an dem sehr vieles vorstellbar und alles möglich ist. An den Freitagen sitzt ein Pianist am Klavier – und sorgt mit seinem Spiel für zusätzlichen Zauber.

Ab 16 Uhr startet der Barbetrieb. Und abends findet dann – in der Regel zwischen Donnerstag und Samstag – ein vielfältiges Kulturprogramm statt. Am Tag unseres Besuches zum Beispiel stand „Parallelweltmusik“ unter dem Titel „Eksotik Meksotik“ im Programm und das bedeutete: „Arabesk Rokenbilly, Exotic Darbuka, Minimal Ciftetelli, Rembetiko Rumba, Balkan Malkan, Yalelelli, Bauchtanz, Anatolian Krautfunk, weiche Streicher, harte Rhythmen, Emotionen pur.“ Anisgetränke und Vorspeisen stärkten das Publikum. In jüngster Vergangenheit bot das Programm unter anderem „Lore aus München“, den „Oktober Folk Club“, das „Soulstüberl“ – das jeden 1. Samstag im Monat antritt – und eine ebenfalls monatlich stattfindende „Singer-Songwriter-Session“. Zum großen „Rosenmontags-Big-Bäng“ legten DJs der Münchner Clubszene verschiedenste Genres auf, alle an einem Set. Lokal und international, jung und etabliert, nachdenklich und unbekümmert: Das ist die Import Export Kantine, ein einzigartiges Unterfangen in der Stadt mit großartiger Atmosphäre, selbst dann, wenn gerade nur wenige Menschen beieinander sind.

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Lebhafter Balkan Jazz mit Maik Mondial.

Sie könnten sehr gut zusammenarbeiten, erzählen uns Tuncay Acar und Michael Schild, denn sie hätten ähnliche Ziele. Tuncay Acar ist Musiker und Percussionist, schon seit vielen Jahren als Veranstalter aktiv. Ihm liege das ebenso wie Michael Schild, der selbst als Künstler langjährige Veranstaltungserfahrung gesammelt hat: Zehn Jahre lang führten er und seine Partnerin das Hofhaus Weicht im Ostallgäu, als „eine urbane Station in der Pampa“, bevor sie sich entschlossen, nach München zurückzukehren. „Die Kunst wird besser, wenn sie entlastet wird“, erklärt uns Michael Schild, „darum lassen wir uns immer wieder darauf ein, einen organischen Rahmen für eine gesunde Szene aufzubauen.“ Dabei denkt er an einen Ort, der Kunst und Bürgerschaft zusammenbringt und an dem auch lokale Vereine oder traditionelle Blaskapellen willkommen sind. Auf Satelliten-Künstler und In-Szene dagegen verzichte man gern. Beide Veranstalter träumen davon, dass sie irgendwann auch wieder ihre eigenen künstlerischen Projekte verwirklichen können, etwa weil sich die Hierarchien drehen und die, die heute auftreten, Verantwortung übernehmen und die Sache mit dem organischen Rahmen selber regeln. Sie, Tuncay und Michael, wären bereit, das zuzulassen.

Auch wenn in den großen Metropolen wie Berlin oder Istanbul mehr los ist, lieben Tuncay Acar und Michael Schild den Standort München sehr. Die Stadt sei zwar „noch sehr klobig“, aber gleichwohl eine der coolsten Städte der Welt. Die Hochkultur sei beeindruckend, Schönheit an so vielen Stellen zu finden. Auch sei eine kulturelle Tradition spürbar, etwa im früheren Schwabing, wo noch sehr viel Spirit auf Dachstühlen und in Ecken archiviert sei, man könne die Schmuckstücke nun vom Staub befreien. Die Stadt habe ihren dörflichen Charakter erhalten, sei grün und von einer wunderschönen Natur umgeben: einzigartig und wunderbar.

„Fragezeichen sind aufregender als Ausrufezeichen“, sagt Michael Schild auf die Frage, wie es mit der Import Export Kantine weitergehen kann. Bis Ende 2016 haben sie einen Mietvertrag, aber über das Risiko, ihn zu verlieren, denken sie weniger nach als über die Dynamik des Entwicklungsprozesses, dem sie sich gern und mit Überzeugung ausliefern. Vorgefertigte Konzepte sind langweilig! Dann lieber ein Lebenskonzept, in dem alles gelebt wird, was wichtig ist! In der Import Export Kantine ist das möglich. Sie ist ein urbaner Freiraum für Mensch und Kultur. Jung und Alt können sich dort begegnen, Menschen über Alters-, Schichten- und Ländergrenzen hinweg. Die Förderer verstehen das. Genau darum sind sie dabei – stets auf Augenhöhe.

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Die Import Export Kantine stiftet an, zu machen statt zu meckern. Man liebt den mündigen Menschen, der weniger passiv vorm Fernseher hockt, sondern stattdessen etwas für das Gemeinwesen und seine Umwelt tut. So verstanden ist die Import Export Kantine auch kein Integrationsprojekt, wie es vielleicht aufgrund des multikulturellen Geschehens von manchen verstanden werden könnte. „Integration ist ein generell wenig hilfreicher Begriff“, sagt uns Tuncay Acar, „das zeigt sich zum Beispiel an der Hilflosigkeit der Politiker, wenn sie „Ausländer“ in Deutschland integrieren wollen. Da gibt es viel zu viele Schuldschubladen, die keinen weiterbringen. Niemand sollte sich zurechtstutzen müssen, nur um irgendwo hineinzupassen.“ Was dann? „Wir stellen uns vor, einen Tunnel unter den Mauern zu bauen und die Sachen von unten anzugehen, von den Menschen aus. Wer es schafft, das eine Zeit lang zu leben, verändert die Welt.

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