Disziplin liegt hier in der Luft. Das merkt besonders, wer nur selten eine Polizei-Inspektion betritt. Unauffällig ist die PI 42 von außen, fast nicht zu finden, nur wenige Monate nach ihrem Umzug von der Erzgießereistraße in die Landshuter Allee. Im Inneren aber trifft man vor allem zu späterer Stunde auf reges Treiben. Langsam macht sich die Nacht breit und von außen betrachtet scheint das ruhige Neuhausen langsam aufzuwachen, um seine finsteren Seiten zu zeigen.

Wir besuchen Ulrich Rothdauscher, der hier auf der Polizei-Inspektion 42 in Neuhausen das Sagen hat. Der 43-jährige Familienvater hat eine steile Laufbahn bei der Polizei hingelegt, startete nach der mittleren Reife im mittleren Dienst und hat sich bis zum Grad des Oberrates hinauf- gearbeitet.

Zwei Meter groß, pflichtbewusst, zwei goldene Sterne auf den Schultern; ein hohes Tier, kann man sagen. In der PI 42 gibt Rothdauscher seit über sechs Jahren den Ton an. Man ist geneigt zu fragen, wie denn die Luft da oben ist. Verantwortlich ist Ulrich Rothdauscher für rund 160 Beamte, und trotz der beachtlichen Größe seiner Inspektion herrscht hier eine familiäre Stimmung, mit freundlichem „Servus“ und Händedrücken vom Chef auf dem Gang.

Wir werden freundlich empfangen und wie selbstverständlich werden uns eine Tasse Kaffee und ein Glas Wasser angeboten. Der Chef muss noch einige E-Mails beantworten, bevor er sich zu uns an den Tisch setzt. Energisch hämmert er in die Tasten, alle paar Sekunden hält er kurz inne. Während wir an unserem Aufnahmegerät herumfummeln, bleibt Zeit, einige Blicke in den großen Raum des Dienststellenleiters zu werfen. An seiner weißen Tafel, die fast die gesamte Wand ausfüllt, steht in Kinderschrift: „Dein Büro ist schön Papa.“ Rothdauscher steht auf.

„Ob es immer mein Traum war, Polizist zu werden? Es war zumindest schon immer ein Thema. Mein Vater ist Jurist, und der Um-gang mit Recht ist mir sozusagen in die Wiege gelegt worden. Recht und Gerechtigkeit, Justiz und Polizei waren zu Hause schon immer präsent und gleichzeitig hatte die Polizei für mich, wie für andere junge Menschen, ein Flair von Abenteuer. Ich habe außerdem nach einer Aufgabe gesucht, mit der ich ausgesprochen auf der Seite des Guten stehen konnte. Die Polizei war für mich einfach das Naheliegende.“

Von der Realschule in die Hochschule
„Die Polizei war dann auch die einzige Stelle, auf die ich mich nach dem Realschulabschluss beworben habe, mit Erfolg. Im März 1987 begann meine Ausbildung im mittleren Dienst. Von 1995 bis 1997 habe ich an der Beamtenfachhochschule studiert, um den Aufstieg in den gehobenen Dienst abzuschließen. Ich war Leiter eines Direktionsbüros, arbeitete im Präsidialbüro, habe Reden für den Polizeipräsidenten geschrieben, war Außendienstleiter, Leiter einer Verfügungsgruppe einer Polizei-Inspektion, Sachbearbeiter beim Kriminaldauerdienst und habe immer mehr Bewertungen erhalten, die mich für den Aufstieg in den höheren Dienst empfohlen haben. 2003 habe ich die Zulassung zum Aufstieg in den höheren Dienst erhalten, der wieder an einen zweijährigen Studiengang ge-koppelt war. Seit 2005 bin ich Leiter dieser Dienststelle.“

Die zwei Seiten in der Uniform
Ist man als Polizist auf jede Situation perfekt vorbereitet? „Sie werden als Polizist im Alltag geschult, dass die Medaille immer zwei Seiten hat, und es gibt immer unterschiedliche Sichtweisen auf die Dinge und Geschehnisse. Das beginnt beim Verkehrsunfall, wenn einer behauptet, der andere sei schuld und ihm reingefahren. Im normalen Leben hört man hier vielleicht auf zu fragen. Als Polizist hört man dann aber die andere Seite, die sagt, ja, das mag schon sein, aber erstens ist der andere falsch abgebogen, zweitens, drittens und viertens: Ich hatte Grün.

Man weiß nicht immer absolut sicher, wo man wirklich Recht hat, und es verändert sich auch der Umgang des Bürgers mit der Polizei. Früher kam man als Polizist daher und hat eine Ansage gemacht, die so akzeptiert wurde. Heute sagt man als Polizist etwas und der andere fragt: Ja, wieso? Warum? Wo steht’n des? Damit müssen Sie als Polizist heute anders umgehen und man muss fachlich sehr fundiert argumentieren.“

Auf weit über 100.000 Einwohner müssen Rothdauscher und sein Team aufpassen. Das macht seinen Job zu einer besonderen Aufgabe, denn der Bezirk ist dicht besiedelt. „Großstädte sind für Kriminelle immer interessanter als Dörfer und kleinere Ortschaften“, erklärt er. „Generell haben wir hier viel Polizei, wir brauchen aber auch viel Polizei. Wir sind in München die fünftgrößte Inspektion und haben mehr Arbeit als viele Kollegen in anderen Vierteln. Diverse öffentliche Einrichtungen wie Gerichte, Konsulate und politische Zentren sowie ein reges Nachtleben rund um das Backstage und den Musikpalast machen Neuhausen und Nymphenburg sehr vielseitig. Auch die 123.000 täglichen Fahrzeugbewegungen allein in der Landshuter Allee sorgen für viele Unfälle, mit denen wir zu tun haben.

Der Mensch, der Polizist
Kann man als Polizist nach Dienstschluss überhaupt noch abschalten, wollen wir wissen. „Es ist noch nicht lange so, dass Polizisten Gefühle und Schwächen zeigen dürfen. Das liegt aber auch an der Zeit; Begriffe wie die ‚posttraumatische Belastungsstörung‘ stammen aus der Neuzeit. Das Bekenntnis der Polizei zum Menschen hinter der Uniform führte in der Mitte der siebziger Jahre zum Aufbau des „Zentralen Psychologischen Dienstes. Dabei handelt es sich um eine Stelle, die von sich aus aktiv wird und Beamten Hilfestellung gibt, die extreme Situationen erlebt haben. Die höchste Eigengefährdung haben Beamte im Wach- und Streifendienst“, erzählt Ulrich Rothdauscher. Selber fährt er inzwischen nur noch selten mit auf Streife.

Hohes Tier, bunter Hund
Aufgewachsen in Regensburg, lebt und arbeitet Ulrich Rothdauscher jetzt in Neuhausen. Hat ihn die Polizei verändert? „Polizei prägt. Ich bin Leiter der Polizei Neuhausen und ich wohne selbst hier. Mal was falsch machen zu dürfen, ist ein Luxus. Wenn man in den örtlichen Medien mit Bild vertreten ist und dann nachts an eine rote Ampel kommt, dann bleibt man dort auch dann stehen, wenn weit und breit kein Auto kommt  und alle anderen Fußgänger die Existenz der Ampel geflissentlich ignorieren. Ich kann die Polizei nie ganz abstreifen. Wenn ich mit meinem Sohn zum Beispiel beim Faschingstreiben stehe, werde ich erkannt und als Polizist kann man sich nicht einfach auf das Wochenende berufen.

Ich erinnere mich noch an meine Anfangszeit als Leiter der PI 42, als ich auf einer Ü-30-Fete war. Ich hatte die Jacke um die Hüften geschwungen, stand auf der Tanzfläche, und sang: ‚Das ist die perfekte Welle!‘ Plötzlich tippte mich einer von hinten auf die Schulter und sagte: ‚Sie auch hier, Herr Rothdauscher!?‘ Und ich hatte dann tatsächlich das Gefühl, dass mein Mitarbeiter mich bei etwas erwischt, das verboten ist. Ich habe relativ schnell das Weite gesucht. Dabei habe ich in dieser Nacht nichts anderes gemacht als tausend andere über 30-Jährige; nämlich weggehen, nothing more!“

Wie sicher ist eigentlich Neuhausen?
„Neuhausen ist ein sehr sicherer Stadtteil in einer der sichersten Millionenstädte Europas. Aber was versteht man unter Sicherheit? Sicherheit ist vor allem ein persönliches Gefühl. Ob Neuhausen verschlafen ist, wollen wir wissen. „Neuhausen ist auf keinen Fall verschlafen. Alte Fliegerbomben an den S-Bahn-Gleisen, tausende Menschen, die auf engem Raum zusammenleben, und eine Bahnlinie, die unmittelbar im Inspektionsbereich liegt. Wenn hier ein Bahnunglück passiert, müssen wir absolut fit sein. Es ist zwar sehr sicher hier, aber Neuhausen ist Teil einer Millionenmetropole, mit den ganzen Erscheinungsformen von Kriminalität und Unfällen. Es ist Sinn und Zweck dessen, was wir tun, dass Bürger ein Viertel als eher verschlafen empfinden, aber in Wirklichkeit ist Neuhausen alles andere als das. Neben akuten Vorfällen müssen wir täglich viel Präventionsarbeit leisten, damit das hier alles so bleibt.“

Mein Neuhausen
„Trotzdem, ich identifiziere mich komplett mit diesem Viertel, weil es für mich einfach ein Traum ist. Mein Sohn geht hier zur Schule, ich wohne einen Steinwurf weit weg von der Arbeit. Meistens ist es ja so, dass der Inspektionsleiter seine Dienststelle nicht oft verlässt, und viele meiner Amtsbrüder haben weniger persönliche Eindrücke ihrer Viertel. Bei mir ist das was anderes. Ich gehe hier einkaufen, zum Metzger, bringe meinen Sohn rüber zum Fußball beim FC Gern, oder wir fahren ins Dantebad. Wenn jetzt jemand zu mir sagt ‚Weisenhausstraße‘ oder ‚Donnersbergerstraße dann kenne ich das, dann weiß ich genau, wie zum Beispiel das Geschäft aussieht, weil ich da schon eingekauft habe. Das macht meine Arbeit als Polizist ganz besonders.

Und mit der notwendigen Bescheidenheit: Ich bin nur Polizeioberrat! Ich bin weder Politiker, noch Künstler oder Schaupieler, sondern nur ein örtlicher Dienststellenleiter, ganz ohne Promistatus. Ich bin der absolute Überzeugungstäter und finde Polizei und die Möglichkeiten bei der Polizei einfach Wahnsinn. Ich habe dem Beruf meine persönliche Lebenszufriedenheit zu verdanken. Deswegen war ich bei der Polizei auch erfolgreich. Das hier ist meine Welt, ich habe jeden Tag mit Menschen zu tun, bin praktisch zu Hause, und es ist für mich jeden Tag so … Es ist mein Neuhausen. Und ich passe darauf auf.“