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Vielleicht bekommt Neuhausen bald das längst fällige Wahrzeichen in Form einer Konzertanlage. Andrea Gebhard gestaltet sie in ihrem Entwurf als einen Ort für alle: für Liebhaber klassischer Musik ebenso wie für Freunde moderner Bands oder Besucher von Stadtteilfesten. So vielfältig und offen eben, wie das städtische Leben nach Meinung der Landschaftsarchitektin sein soll. Und die Neuhausenerin, erklärte Konzert- und Opernliebhaberin, kann dann zu Fuß zum Konzert gehen.

Die Debatte über einen neuen Konzertsaal bewegt München seit langem. Zudem brauchen die Münchner Philharmoniker, wenn der Gasteig saniert wird, ein Ausweichquartier. Warum nicht in der alten Paketposthalle an der Friedenheimer Brücke, fragte sich Andrea Gebhard, Geschäftsführerin der letzten Bundesgartenschau in Riem, und legte zusammen mit dem Architekten Jürke, dem Rechtsanwalt Nachmann und dem Investor Niemeier der Stadt einen Plan für den Umbau vor: nicht nur ein Konzertsaal, sondern eine regelrechte Musikstadt, die neben einem großen Saal für 1900 Besucher mehrere kleine bietet und durch höher- und niedrigpreisige Angebote für Büros, Gastronomie etc. das umgebende Areal mit einbezieht.

Münchens unbekannter Dom
Ihr Entwurf für die Anlage mit dem klingenden Namen „Die Resonanz“ wartet gleich mit drei Trümpfen auf: Zum einen ist ein städtebaulicher Akzent an der Achse Hauptbahnhof – Pasing längst überfällig. „Das ist ein Ort ohne kulturellen Bezugspunkt“, meint die Vorsitzende der Dt. Akademie für Städtebau und Landesplanung, die auch im Bundeskongress für Nationale Stadtentwicklungspolitik sitzt.
Zum anderen wird auf diese Weise ein bereits vorhandenes, wenngleich unentdecktes Baudenkmal den Münchnern zurückgegeben. Die Paketposthalle aus den 60ern ist ein Meisterwerk der Betonarchitektur und war zu ihrer Zeit die größte freitragende Halle der Welt. Unter dem riesigen Gewölbe (145 m weit, 30 m hoch, 124 m lang) liegen 15 Gleise, auf denen bis Ende der 90er-Jahre Paketzüge direkt zur Abfertigung einfuhren. Heute überspannt es ein Briefzentrum. Die Bausubstanz, berichtet Gebhard anerkennend, wurde von der Post gut gepflegt. Ein Umbau wäre nachhaltige „Synergie mit Denkmalschutz“.

Nicht zuletzt besteht hier eine ausgezeichnete Anbindung, nur fünf Minuten von der S-Bahn-Haltestelle Hirschgarten entfernt. Die Verkehrsbelastung für die Anwohner würde durch dieses Projekt nicht höher, sondern sogar geringer werden. Und für das Viertel würde ein solcher Anziehungspunkt eine enorme Aufwertung bedeuten.

Die Stadt für alle
Auf dem Entwurf sieht man vor dem Hauptbau eine große Wasseranlage mit Fontänen. „Das Wasser ist die Seele eines Gartens“ – so der Münchner Gartengestalter und Stadtplaner Friedrich Ludwig von Sckell, geboren im 18. Jahrhundert. Er ist erklärtes Vorbild der Landschaftsarchitektin: „Wer aus der Landschaft kommt, hat einen anderen Blick auf die Stadt.“ Die gebürtige Münchnerin breitet Pläne der früheren Stadterweiterungen aus. Anfang des 19. Jahrhunderts hat Architekt Carl von Fischer Luft zum Atmen in die Stadt gebracht. Und Ludwig I. hat mit der Platzwahl der Pinakotheken den Trend gesetzt, eine kulturelle Einrichtung „auszulagern“. Die von ihm benannte Straße führte seinerzeit raus aus der Stadt und hin zum damaligen Dorf Schwabing. Um 1900 wurde unter Prinzregent Luitpold das Prinzregententheater „zu den Bauern“ hinausgebaut. Gebhard: „Eine sehr mutige Entscheidung damals, mit einer solchen Einrichtung den Stadtkern zu verlassen.“
Auch Gebhard bekennt sich zum damals neuen Ideal, das sie „demokratisches Grün“ nennt: eine Stadt für alle Bevölkerungsschichten. „Es ist sehr wichtig, diese Offenheit heute beizubehalten und niemanden auszugrenzen. Gerade in Deutschland ist es ein Riesenanliegen“, sagt sie. „Die gemeinsame Öffentlichkeit neben der geschützten Privatheit – das ist das Ideal der europäischen Stadt, das wir Europäer unbedingt bewahren müssen: Stadt und Straße gehören uns allen!“ Und dann ergänzt sie, dass Integration über die Begegnung draußen, im öffentlichen Raum, stattfindet. Und über Kunst und Musik, die auch ohne Sprachkenntnisse zu verstehen sind.

Planerin aus Leidenschaft
Ein Freund hatte Gebhards Aufmerksamkeit auf die Paketposthalle gelenkt. In Anwalt Josef Nachmann und Investor Martin Niemeier fand sie zwei Fachleute, die sich ebenfalls dafür begeisterten, und der Stein kam ins Rollen. Gebhard stammt aus einer Architekten- und Planerfamilie. In Marburg studierte sie Geographie und Soziologie, später dann Landschaftsentwicklung und -pflege in Berlin und Hannover. Seit 2006 leitet sie zusammen mit ihrem Mann das Büro „mahl-gebhard-konzepte“ in Neuhausen, wo sie auch wohnt. Bei Spaziergängen im Viertel überlappen sich Arbeit und Freizeit. Die Besonderheit ihres Viertels sieht Gebhard in dem, was sie die „Münchner Mischung“ nennt: „Die Urbanität ganz nah am Grünen.“ An ihrem Beruf liebt sie die Vielfalt: von kleinen Plätzen bis riesigen Anlagen ist alles dabei: Gabrieli-Gymnasium Eichstätt, Rindermarkt, Stephansplatz und die Wohnanlage am St.-Jakobs-Platz. Ihr berufliches Highlight sind große Stadtentwicklungsprojekte, z. B. die BUGA05. Sie sieht ihre Aufgabe in der Alltagsarchitektur, es geht immer um einen Ort für Menschen und die dort zu entwickelnde Schönheit. Denn nur die Schönheit berührt die Menschen.

Es gibt im Büro ein spezielles Budget, über das gelegentlich Projekte, die es noch nicht gibt, geplant werden. Ob diese dann realisiert werden, steht natürlich auf einem anderen Blatt. Das kostet nicht nur viel Geld, sondern auch Engagement – und am Ende landet der Plan vielleicht doch in der Schublade.
Die Mitbewerber um die Konzerthalle sind der Olympiapark, das Werksviertel am Ostbahnhof, der Apothekerhof in der Residenz sowie der Finanzgarten. „Interessante Konzepte, aber die stadtplanerische Strahlkraft der Paketposthalle ist „, urteilt Gebhard. Im Spiel mit Ideen und Visonen liegt auch eine ganz besondere Energie. Jedenfalls stößt „die Resonanz“ auf große Resonanz (SO???) und wird von vielen unterstützt. Wenn diesen Herbst die Machbarkeitsstudie vorliegt, fällt die Entscheidung. Bei einem Baubeginn von 2017/18 stünde die neue Musikstadt bis 2020. Gebhards Wunsch für das Eröffnungskonzert: das Violinkonzert Tschaikowskis. Zu dem sie dann zu Fuß hingehen könnte.

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Die Paketposthalle aus den 60ern ist ein Meisterwerk der Betonarchitektur und war zu ihrer Zeit die größte freitragende Halle der Welt.