Wie weit müssen wir ausholen, um ein „na klar, den kenne ich“ von Ihnen zu hören, lieber Leser? Gar nicht? Prima! Gemeint ist der Chef vom „Hermannsdorfer“, jener Unternehmer, der einst Herta- Industriewurstwaren verkaufte und heute ein überzeugter Vertreter einer nachhaltigen, ökologischen Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung ist. Karl Ludwig Schweisfurth lebt mitten in Nymphenburg – und nahm sich Zeit, LocalLIFE einige lokale und globale Fragen zu beantworten.

LocalLIFE: Viele Menschen kennen Ihr Geschäft in der Nymphenburger Straße, wo Produkte aus den Hermannsdorfer Landwerkstätten in Glonn verkauft werden. Nur wenige wissen, dass Sie auch eine Stiftung betreiben, die ihren Sitz im Schlossrondell 1 hat. Wie kam die Stiftung nach Nymphenburg?
Karl Ludwig Schweisfurth: Als ich 1984 beschlossen habe, meinem Leben eine neue Richtung zu geben und mich von der Fleischwarenindustrie zu verabschieden, wollte mein ganzes Leben neu geordnet werden. Ich habe meine Wurstfabriken verkauft und bin in die Heimatstadt meiner Frau gezogen – nach München. So kam ich mit vielen Plänen und Ideen an diesen Ort. Noch vor den Hermannsdorfer Landwerkstätten in Glonn, die 1986 entstanden, habe ich 1985 die Schweisfurth- Stiftung gegründet.
LocalLIFE: Wie haben Sie diese wunderschönen Räume gefunden?
Karl Ludwig Schweisfurth: Meine Frau und ich hatten hier gleich ums Eck ein wunderbares Wohnhaus entdeckt, das zwar einer Ruine glich, uns aber dennoch sehr gefiel. Es gehörte einem liebenswerten Träumer, den wir überzeugen konnten, uns dieses Haus zu überlassen. Ein wenig später konnten wir auch das Schlossrondell 1 wieder aufbauen. Das war ebenfalls in einem schlechten Zustand und empfahl sich als Sitz für die Schweisfurth- Stiftung, die Wege zu einem ganzheitlichen und erfüllten Leben aufzeigen will – in dem Arbeit und Technik in besseren Einklang mit der Natur gebracht werden. Dafür braucht man Luft und Licht!
LocalLIFE: Die Stiftung ist nun über 25 Jahre alt. Sie haben zahlreiche Diskussionen geführt, einflussreiche Personen kennengelernt und sind inzwischen distanziert, aber neugierig am Stiftungsgeschehen interessiert. Erzählen Sie uns von Ihren Erfahrungen!
Karl Ludwig Schweisfurth: Es wird Sie nicht überraschen, dass wir in den ersten Jahren für Verrückte gehalten wurden. Manche sahen in uns sogar Esoteriker. Dabei waren wir nichts als Realisten. 1986 hatte sich gerade der Unfall im Atomkraftwerk Tschernobyl ereignet und immer mehr Menschen erkannten die Gefahren einer Technik, die nicht beherrschbar ist. Natürlich wussten wir damals auch schon, dass die industriell geführte Landwirtschaft massive Umweltprobleme schuf, die nicht mit neuen technischen Lösungen zu bewältigen sein würden. Der intensiven Ausbeutung der Naturressourcen durch die technisch hochgerüstete Landwirtschaft stellten wir deshalb einen erweiterten Kulturbegriff gegenüber: So sprechen wir seit vielen Jahren von Agrarkultur und von Ernährungskultur. Seiner lateinischen Herkunft nach hat das Wort Kultur nämlich diese drei Bedeutungen: pflügen, pflegen und verehren. Manche Menschen glauben, es sei Kultur, mal ein Opernhaus zu besuchen. Für uns ist Kultur etwas Grundlegenderes, das eben schon beim Bearbeiten der Böden seinen Ausgang nimmt. Wenn wir uns nicht auf einen solch umfassenden und dem Erhalt der Ressourcen verpflichteten Kulturbegriff verständigen, wird die Erde in absehbarer Zeit kahlgefressen sein – von den vielen Menschen und von den Tieren, die wir heute in immer größerer Zahl unter unsäglichen Bedingungen als seelenlose Massenware produzieren. Was wir unseren Mitgeschöpfen antun, ist ein Skandal, ein Frevel und größte Dummheit!
LocalLIFE: In Glonn haben Ihre Tiere ein anderes Leben als in der Massentierhaltung…
Karl Ludwig Schweisfurth: Unbedingt! Tiere sind Lebewesen, die wie wir Menschen Freude und Schmerz empfinden. Deshalb lassen wir sie in unseren Landwerkstätten ihrer Art entsprechend leben. Sie sind draußen und fressen nur das, was die Natur für sie vorgesehen hat. Leider ist es ein Gesetz des Lebens, dass wir Tiere töten müssen, wenn wir ihr Fleisch essen wollen. Jeder sollte sich dessen bewusst sein. Fleisch muss wieder zu etwas Kostbarem und Wertvollem werden. Lieber halb so viel, aber doppelt so gut. Ich selbst esse weitgehend vegetarisch und nur gelegentlich Fleisch – sofern es aus den Hermannsdorfer Landwerkstätten stammt. Unsere Tiere werden vor Ort geschlachtet. Niemand wird je einen Angstschrei von ihnen hören. Auch das geht übrigens in den Geschmack ein.


LocalLIFE: Seit einigen Jahren beschäftigen Sie sich vermehrt mit dem Handwerk und seiner Bedeutung für die Produktion von Lebensmitteln.
Karl Ludwig Schweisfurth: Das Handwerk stirbt aus, wenn wir nichts tun! Europa hatte einst die größte Vielfalt und Kultur beim Herstellen von Broten, Würsten, Käsesorten, Weinen und Bieren. Über Jahrhunderte hinweg haben die Meister ihres Fachs Rezepte weitergereicht und weiterentwickelt. Sie konnten riechen, wann etwas reif war, fühlen, wo ein Stück Fleisch geschnitten werden darf, sehen, wann eine Krume luftig wurde. Sie wussten Landschaften zu gestalten – und die Natur zu erhalten. Wo diese Handwerker durch ungelernte, billige und entwurzelte Leiharbeiter aus fernen Ländern ersetzt werden, entstehen uniforme Nahrungsmittel aus standardisierten Zutaten nach immer einheitlicheren Geschmacksvorstellungen. Die Vielfalt verschwindet, das Qualitätsbewusstsein sinkt, lokale Arbeitsplätze verschwinden.
LocalLIFE: Gibt es positive Entwicklungen?
Karl Ludwig Schweisfurth: Auch. Zum Glück! Im Verbraucherschutz hat sich einiges bewegt, die Menschen wurden kritischer. Es gab ja schon so viele Lebensmittelskandale, die in der Summe etwas verändert haben. Heute wird grundsätzlicher nachgefragt und die Medien bleiben am Ball. Beim ersten großen Lebensmittelskandal, der BSE-Krise, herrschte in der Bevölkerung vor allem Angst. Man war hysterisch, und kaum einer empfand es als Unrecht, dass massenhaft gesunde Rinder gekeult wurden. Mittlerweile hat der Tierschutz enormen Auftrieb erhalten. Vor allem junge, gebildete Frauen ernähren sich vegetarisch und setzen sich engagiert für Veränderungen ein. Ich sehe einen weiteren Trend: Es gibt wieder Handwerker und Bauern, die den Mut haben, in jeder Hinsicht anders zu sein und ihre eigenen Produkte herzustellen, die sie selbst zum Kunden tragen. Als Stiftung unterstützen wir all diese Tendenzen wann immer möglich.
LocalLIFE: Sie stecken voller Ideen und Energie?
Karl Ludwig Schweisfurth: Ja. Und diese hellen Räume hier und der zauberhafte Garten der Stiftung beflügeln mich dabei. Ich bin zwar weder Bayer noch Wittelsbacher noch Katholik, aber diese Umgebung ist mir trotzdem zugefallen. Ich habe das gern angenommen. Manchmal treffe ich Herzog Franz von Bayern beim Spazierengehen im Schlosspark und wir scherzen darüber, dass wir hier aufs wunderschöne Schloss schauen dürfen, während ihm nur der Blick auf die alten Bedienstetenhäuser bleibt.
LocalLIFE: Woran arbeiten Sie aktuell?
Karl Ludwig Schweisfurth: Ich versuche, einen weiteren Leuchtturm zu bauen, dieses Mal in Dänemark. Unser Nachbarland ist schon komplett von der industriellen Landwirtschaft bestimmt. Sie sehen dort weder Bauerndörfer noch Tiere auf den Weiden. Gemeinsam mit Partnern vor Ort werden wir ein Projekt starten, um das traditionelle Leben und Arbeiten wieder sichtbar zu machen. Wir wissen, dass die modernen Menschen eine große Sehnsucht nach Natur haben, und sind überzeugt davon, dass ihnen die Begegnung mit der ursprünglichen Landwirtschaft helfen wird, sich für das verlorengegangene Wissen sowie die menschen- und tiergerechte Gestaltung des Lebens zu interessieren. Weil sich die Agrarindustrie nicht von selbst verändern oder abschaffen wird, muss der Wandel von unten kommen. Dafür machen wir uns stark.